Donnerstag, 30. Juni 2011

2.) Listen-Nr. 74: Matilda von Roald Dahl, 1988

Mein Lieblingszitat: "You have put a... a... a crocodile in my drinking water!" the Trunchball yelled back. "There is no worse crime in the world against a headmistress!"

The world´s story teller Nr. 1
Roald Dahl, der auf seinen Büchern bescheiden "The world´s story teller Nr. 1" genannt wird, ist in so ziemlich allen englischen Kinderzimmern vertreten. Jeder der "Charlie und die Schokoladenfabrik" gesehen hat (wurde 1964 von Roald Dahl geschrieben, Nr. 35 auf der Liste), sollte einen guten Einblick in den einzigartigen und ziemlich schwarzen Humor dieses großartigen Mannes bekommen haben. 1916 in Wales geboren, erlebte Dahl den zweiten Weltkrieg hautnah mit. Als Kampfflieger nahm er solange aktiv daran teil, bis seine Hawker Hurricane über der nordafrikanischen Wüste abstürzte und er nach Amerika geschickt wurde um in der britischen Botschaft zu arbeiten. Dort hatte er aber wohl mehr Lust, Geschichten zu schreiben und seine erste Kinderstory "The Gremlins" wurde veröffentlicht, an der sich noch im Jahr 1942 Disney die Rechte sicherte. Dahl ging nach Hollywood. Von da an schrieb er bis zu seinem Tod im Jahr 1990 eine Reihe bekannter Kinderbücher, von denen einige verfilmt wurden.

Zur Story/Highlights:
Matilda ist ein kleines Mädchen, welches mit einer unnatürlich hohen Intelligenz zur Welt gekommen ist. Mit drei Jahren bringt sie sich selbst das Lesen bei und verschlingt von da an jedes Buch, das ihr vor die Nase kommt. Unglücklicherweise halten ihre Eltern von Büchern überhaupt nichts. "Wir haben einen wundervollen Fernseher und nun willst du auch noch ein Buch haben? Du verwöhnes Kind!" Überhaupt sind Matildas Eltern nicht besonders helle und als Matildas Vater ihr wieder einmal vorhällt wie unnütz und dumm sie ist, beschließt sie, sich zu rächen. Nachdem Daddy Wormwood die erste Nacht mit seinem Hut auf dem Kopf verbracht hat, auf dessen Rand Matilda morgens etwas Sekundenkleber angebracht hat, wird er für kurze Zeit zahmer. Langfristig hilft aber alles nichts, Matildas Eltern sind leider dumme Fieslinge. Deshalb ist sie froh, als sie endlich in die Schule kommt - ein halbes Jahr zu spät, da ihre Eltern vergessen haben, sie anzumelden -  und in der Klasse der lieblichen Miss Honey landet. Doch auch hier muss Matilda ihre Intelligenz wieder in Streiche investieren, denn jetzt hat die Direktorin ihren Auftritt - Trommelwirbel! -  Miss Trunchball!

Miss Trunchball ist so böse, dass die Eltern nicht einmal dagegen aufbegehren, weil sie nämlich ganz einfach den Geschichten ihrer Kinder nicht glauben. Wie Matilda ganz richtig bemerkt, ist das nämlich der Trick. "Never do anything by halves if you want to get away with it. Be outrageous. Go the whole hog. Make sure everything you do is so completely crazy, it´s unbelievable!" Und so beschwert sich zum Beispiel auch nie die Mutter der kleinen Amanda. Miss Trunchball HASST nämlich Zöpfe und Amanda hat gleich zwei davon. Miss Trunchball, die zufällig eine preisgekrönte Hammerwerferin ist, packt also das Kind bei den Zöpfen, schleudert es dreimal im Kreis und schmeisst es über den Schulhof in die nächste Hecke (wo es dreimal aufprallt und sich dann benommen aufrappelt). Selbstverständlich glauben Eltern eine solche Geschichte nicht. Warum sollten sie auch? Schließlich ignorieren sie auch schon seit Jahren die Geschichte von Miss Trunchballs Bestrafungskammer. Alle bösen Kinder kommen nämlich in einen Holzkasten, der an allen Seiten mit Glassplittern gespickt ist, so dass man sich nie anlehnen oder sitzen kann sondern die ganze Zeit stehen muss. Matilda muss handeln. Und dabei ist sie so clever, dass sie nicht nur die Schule rettet, sondern auch noch Miss Honey, die ein dunkles Geheimnis hütet...

Meine Meinung:
Matilda ist eines von Dahls Büchern, die es auch als Film gibt. Ich hatte den Film aber nie gesehen und auch eigentlich keins seiner Bücher gelesen. Dafür bin ich ein Riesenfan von Dahls Gedichten, die herrlich abgefahren sind und in denen er bekannte harmlose Geschichten wie Cinderella mit einem guten Schuss schwarzen Humors durch die Mangel dreht. Auf Matilda habe ich mich also schon gefreut, seit ich die Liste zum ersten Mal gesehen habe.

Roald Dahl hat einen Heidenspaß daran, bitterböse Bösewichte zu erschaffen, um sie dann hinterher nach Herzenslust zu bestrafen. Miss Trunchball ist so herrlich wiederlich, dass man sie am liebsten aus dem Buch herausprügeln und zu kleinen Würstchen drehen möchte. Politsche Korrektheit ist Dahls Sache nicht und es ist ganz wunderbar erfrischend, wie schamlos er in einem Kinderbuch über Kinder lästert. Besonders haben es ihm aber die Eltern angetan. Natürlich lieben Eltern ihre Kinder, "that´s the way of the world. It is only when the parents begin telling us about the brilliance of their own revolting offspring, that we start shouting: "Bring us a basin. We are going to be sick!" Wäre er ein Lehrer, würde er diesen Eltern ihre Blindheit schon austreiben. "Ihr Sohn Maximilian" würde er schreiben, "ist eine totale Flachpfeife. Ich hoffe, sie haben ein Familienunternehmen in das sie ihn nach der Schule stecken können, denn er wird ganz sicher nirgendwo anders einen Job finden." Ich habe Tränen gelacht.

Mein Fazit
Für Menschen, die unbedingt alle Kinder "sooo süß" finden müssen und nicht zugeben wollen, dass manche kleinen Ekelpakete und deren Eltern besser in eine Socke gestopft und zugeknotet gehören, sind Dahls Bücher nicht die beste Wahl. Alle anderen sollten sie unbedingt lesen! Matilda hat sich ihren Listenplatz absolut verdient und ich freue mich schon auf die zwei anderen Dahl-Bücher auf der Liste!

Sonntag, 26. Juni 2011

1.) (Teil 2) Jane Eyre von Charlotte Brontë, 1847

Meine liebe Jane, du hast mich jetzt echt fertig gemacht. Ich hab die letzten Stunden vor dem Ende damit verbracht, um deine Zukunft zu bangen. Hab immer wieder innerlich geschrien: "Jane, mach keinen Scheiß jetzt!". Und hat es was gebracht? 

Kann ich natürlich nicht sagen jetzt. Ich kann ja schließlich nicht die Geschichte verraten! 

Jane Eyre ist eine Frau des 19. Jahrhunderts. Googelnd komme ich auf Begriffe wie "Emanzipation", "Stolz", "Stärke", die im Zusammenhang mit ihrem Charakter stehen. Aus der Perspektive unserer Zeit, in der ich nun vollkommen selbstverständlich mein Studium und meinen späteren Beruf nach meinen Interessen und Fähigkeiten wähle, ist es kaum zu glauben wie wenig Zeit vergangen ist, seit Frauen hiezu nicht einmal ansatzweise in der Lage waren. (Männer übrigens auch nicht, aber um die geht´s grad nicht.) Zwar wurde zwischen 1870 und 1894 in Europa das Frauenstudium eingeführt, Studentinnen blieben jedoch weiterhin eine Ausnahme. Und da unsere Jane ein paar Jährchen vorher gelebt hat, war ein Unistudium für sie nicht mal eine in Erwägung zu ziehende Möglichkeit, obwohl sie extreem intelligent ist. Sie geht zur Schule, wird Lehrerin und dann Gouvernante. Damit hat sie eine der einzigen Möglichkeiten einer englischen Frau benutzt, wenigstens etwas eigenes Geld zu verdienen. So weit so gut, wenn sie jetzt still geheiratet und 3 Kinder bekommen hätte, wäre das Buch nicht so in die englische Gesellschaft geknallt, wie es das damals getan hat.

Wir sprechen hier von 1847, in England schleicht sich so langsam die Industrialisierung an. Das Leben ist hart, die Menschen sind gläubig, die Ehe ist zum Kinderkriegen da. In den gehobenen Kreisen wird geheiratet, um den Status zu sichern. Die Mädchen reicher Eltern gehen zwar zur Schule, was sie dort lernen, gibt ihnen aber in erster Linie das Handwerkszeug um eine gute Hausfrau zu werden. Das Lebensziel ist es, eine gute Partie zu sichern. Liebe kommt dann später oder auch nicht. Eine gute Frau sollte zufrieden sein mit dem,was sie hat und sich nicht beklagen. Außerdem findet sie ihre Erfüllung ja sowieso im Kinderkriegen. Die idealen Eigenschaften einer Frau sind Aufopferungsbereitschaft, Reinheit und Stille. Leidenschaft gilt bei Frauen als unnatürlich, eher krankhaft. Jane hat´s schwer.

Unsere Heldin ist ein leidenschaftlicher Mensch, sie lebt nach ihren eigenen Regeln und ist für ihre Zeit extrem emanzipiert. Trotzdem geht sie mir manchmal tierisch auf den Keks. In eine emanzipierte Zeit geboren und mit einem Dickkopf ausgestattet, geht es mir einfach nicht in den selben, wie sich so ein pfiffiges Mädel ständig von Männern herumkommandieren lässt. Sie tut das vollkommen selbstverständlich und ordnet sich auch gerne unter. Nur einmal muckt sie wirklich auf: Da geht es nämlich gegen ihre Wertvorstellungen von einem christlichen Leben. Sie haut ab. Und während Jane sich und ihrem Liebsten jede Hoffnung auf eine glückliche Zukunft miteinander verbaut und damit in Kauf nimmt, für den Rest ihres Lebens kreuzunglücklich aber dafür nach ihren Idealen zu leben, kann ich in meinem behaglichen 2011 nur seufzend den Kopf schütteln. Man kanns auch echt übertreiben mit der Prinzipientreue.

Aber gut, sie hat das sehr straight durchgezogen, muss man ihr lassen. Und nachdem sie fast verhungert wäre, weil sie nämlich sowohl zu stolz ist, um Geschenke anzunehmen als auch um zu betteln, schafft sie es, von allerlei Zufällen und überraschenden Wendungen getragen tatsächlich, sich ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Meinen Respekt Frau Eyre. Was hätte sie aber ohne diese - meiner Meinung nach etwas arg konstruierten - Zufälle getan? Naja lassen wir das, es ist ja jedem klar, dass er hier eine erfundene Geschichte liest und keine Biografie. Grundsätzlich bin ich aber kein großer Fan von Zufällen in Büchern, vor allem nicht von solchen, ohne die die Geschichte sehr anders geändet hätte. Jane wäre dann nämlich sang und klanglos im Wald verhungert.

Grundsätzlich stimme finde ich die Geschichte schön und habe sie gerne gelesen. In meine persönlichen Top 100 wird sie es aber nicht schaffen. Trotz romantischer Dialoge und aufopferungsvoller Liebe zieht die Geschichte mich nicht so sehr in ihren Bann, dass ich meine Umwelt vergesse (Normalerweise passiert mir das permanent). Charlotte Brontë hat die Geschichte fairerweise aber auch nicht geschrieben, um verwöhnten deutschen Mädels im 21. Jahrhundert einen netten Leseabend zu bereiten. Jane Eyre ist ein Instrument zur Gesellschaftskritik. Und wie nötig diese Gesellschaft Kritik hatte, zeigt schon der Umstand, dass das Buch in der Erstversion unter dem Pseudonym "Currer Bell" erscheint, da es von einer weiblichen Autorin nicht ernst genommen worden wäre. So aber wurde es zu einem Erfolg. Und beschert uns noch heute eine leidenschaftliche Heldin, eine dramatische Liebe und einen spannenden Einblick in eine Zeit, in der selbst ein gebildetes, mitfühlendes Mädchen wie Jane Eyre es vollkommen selbstverständlich findet, sich ein Land unter den Nagel zu reißen, um es zu kolonialisieren. Denn auch wenn die Emanzipation der Frauen so langsam in England anklopfte; die Emanzipation anderer Rassen war auch für Charlotte Brontë noch sehr weit weg.  

Dienstag, 21. Juni 2011

1. (Teil 1) Jane Eyre von Charlotte Brontë, 1847

Mein Lieblingszitat:  
"And so you were waiting for your people when you sat on that stile?"

"For whom, sir?"

"For the men in green: it was a proper moonlight evening for them. Did I break through one of your rings, that you spread that damned ice on the causeway?"I shook my head. "The men in green all forsook England a hundred years ago," said I, speaking as seriously as he had done. (S. 124)


Ich fange an zu lesen und habe keinen blassen Schimmer was eigentlich passieren wird, da ich wie immer den Klappentext ignoriert habe. Vor allem klassische Literatur hat die nervige Angewohnheit, mir mit wenigen Sätzen auf dem Deckel das ganze Buch zu verraten. Ich weiß ja, dass ich hier Weltliteratur lese und es ist mir schon ein bisschen peinlich, dass ich von Jane Eyre nur den Namen kenne. Die Einleitung verrät mir zumindest schon mal etwas über Charlotte Brontë. Als eines von sechs Kindern wächst sie in einem strengen Elternhaus mit wenig Liebe auf. Als sie acht Jahre alt ist, wird sie zusammen mit drei ihrer Schwestern in ein Internat gesteckt, in dem die Konditionen so schlecht sind, dass zwei Ihrer Schwestern dort an Tuberkolose sterben. Charlotte und ihre Schwester Emily überleben aber und schaffen es knapp 150 Jahre später mit ihren Büchern immer noch zu den beliebtesten aller Zeiten zu gehören. Ich bin gespannt warum.

130 Seiten später bin ich vollkommen in das England des 19. Jahrhunderts eingetaucht. Meine Mittagspause auf der Arbeit habe ich zum ersten mal ganz unsozial mit einem Buch verbracht statt mit meinen Kollegen. Schließlich hat Jane gerade Mr. Rochester kennengelernt und der Name sagt selbst mir als vollkommen unerfahrener Brontë-Ignorantin.etwas. Zuallererst fällt mir auf, dass das Buch, obwohl 160 Jahre alt und auf Englisch, leicht verständlich und gut zu lesen ist. Nur mit den teilweise eingestreuten französischen Sätzen hapert es bei mir etwas. Ich wundere mich zuerst, dass es dazu nie eine Übersetzung oder Erklärung gibt, bis ich mich dunkel erinnere, das Französisch damals ja bei der Bildungsschicht noch "tres en vogue" war. Vorsichtshalber habe ich das aber nochmal gewikit. "Im 18. Jahrhundert übernahm das Französische als Sprache des Adels die Domäne der internationalen Beziehungen und der Diplomatie (zuvor: Latein). Durch die Französische Revolution und das Scheitern der napoleonischen Großmachtspolitik, die den Nationalismus und die Freiheitsbewegungen der unterworfenen Völker hervorbrachte, ging die Verwendung des Französischen stark zurück und wurde von Englisch verdrängt." Schau an.

Meine zweite Erkenntnis ist, dass es mir erstaunlich leicht fällt, mich mit der im Jahre 1847 lebenden Heldin zu identifizieren. Ich schätze Mädchen sind nun einmal Mädchen, egal in welcher Zeit. Jane Eyre, ein Waisenkind das in England bei einer reichen Pflegefamilie aufwächst, wird von ihrer Pflegemutter ignoriert und von deren Kindern misshandelt. Mit zehn Jahren wird sie von Ihnen in ein Waisenhaus gesteckt, in dessen Schule sie später als Lehrerin arbeitet. Aus der Einleitung weiß ich, dass das Buch teilweise autobiographisch ist und die Schule auf ihrem realen Vorbild beruht. Deshalb ist es noch viel erschreckender, was Jane Eyre im Rückblick in der Ich-Form beschreibt. Der Leiter der Waisenschule, ein total abgedrehter Kirchenprediger, der mit seiner "Wenn der Körper fastet, wird der Geist gelabt"-Mentalität die Kinder fast verhungern lässt, schneidet den Mädchen auch schon mal die Zöpfe ab, wenn sich die Haare zu sehr locken. "My mission is to mortify in these girls the lust of the flesh". Es ist eine Verwirrung, der schon tausende Männer vor und nach seiner Zeit in allen Teilen der Welt zum Opfer gefallen sind: Ihre eigenen dreckigen Gedanken auf Frauen zu projizieren und diese, als "logische Schlussfolgerung", zu unterdrücken. 

Jane lässt sich aber nicht unterdrücken und als sie mit 18 Jahren die Schule verlässt und bei Mr. Rochester (Oha! Die Handlung beginnt sich zu verdichten...) als Gouvernante für dessen Schützling anfängt, ist sie ein fantasievoller Querkopf mit einer großen Klappe. Ihre offene, ungeschminkte Art würde auch heute noch bestimmte Leute verschrecken und war mit Sicherheit damals vollkommen und komplett ungeeignet für eine wohlerzogene, junge Dame im 19. Jahrhundert. Ich könnte mir vorstellen dass es auch die Charaktereigenschaften ihrer Heldin sind, die Charlotte Brontë damals einige Kritiker eingebracht hat. Diese Herren adressiert sie denn auch im Vorwort. "Konvention ist nicht Moral. Selbstgerechtigkeit ist nicht Religion. (...) Männer verwechseln diese Dinge zu häufig. Sie sollten nicht verwechselt werden." Jane Eyre ist keine graue Maus, auch wenn ihr Aussehen so beschrieben wird. Sie liebt Bücher und Geschichten und aus vollkommen ordinären Situationen werden in ihren Gedanken Begegnungen mit Fabeltieren und Geistern. 

Als sie schließlich auf Mr. Rochester trifft, ist mein oben genanntes Lieblingszitat eine der ersten Unterhaltungen die sie führen. Abgesehen davon, dass er sich bis jetzt benommen hat wie ein arrogantes Arschloch, scheint der Gutsherr auf einem guten Weg. Wenn er sich mal dazu herablässt eine vernünftige Unterhaltung zu führen, taucht er mühelos in Janes Fantasiewelt ein. Der Dialog der beiden geht sofort und unangekündigt in eine Ebene, die niemand der anderen Bewohner mehr versteht. Sie reden vollkommen ernst den größten Quatsch miteinander, ohne es jemals aufzulösen. Außerdem scheint er einen Hang zum Romantiker zu haben, denn er beschreibt die von Jane gemalten Bilder mit einer derartigen Poesie, dass meine Englischkenntnisse schon leicht mit den Ohren schlackern.

Das ist übrigens auch einer meiner Wehmutspunkte: Die Figuren reden manchmal nicht so ganz ihrem Charakter entsprechend. Das Mr. Rochester ein tiefgreifender Nostalgiker zu sein scheint und manche Dinge eher so beschreibt wie eine Frau das tun würde, ist nun mal dem Plot geschuldet. (Zum jetzigen Zeitpunkt gehe ich stark davon aus, dass es auf eine Liebesgeschichte hinauslaufen wird. Falls am Ende Jane total abdreht und das ganze Gut im Schlaf umbringt, mag sich meine Sicht auf die Charaktere noch ein wenig ändern.) Aber das Janes 14-jährige Freundin Helen die Einsicht und Charakterstärke einer Mutter Theresa und das Ausdrucksvermögen einer Pastorin an den Tag legt, scheint mir doch etwas unwahrscheinlich. Bis jetzt gab es auch noch keine Szene bei der ich wirklich vollkommen ergriffen und mitgerissen war. Wenn man in Betracht zieht, dass ich mich normalerweise schon bei einer rührenden Bierreklame in Tränen auflöse, heißt das einiges. Ich bin aber sicher, dass dieser Verzicht auf tiefe Gefühle nicht aus einer literarischen Unfähigkeit entspringt, sondern gewollt ist und sich das später noch ändert. Evtl. liegt es auch an der Zeit, zu der das Buch geschrieben wurde. Ich bin nicht so oft im 19 Jahrhundert unterwegs und mir deswegen nicht ganz sicher. Wie auch immer, ich werde es wohl im zweiten Teil erfahren. Bis dahin muss meine Zustimmung oder Absage zur 100Bücher-Liste wohl noch warten.

Hier geht es zum zweiten Teil der Rezension.

Samstag, 18. Juni 2011

Wie ein Facebook Hype entsteht und Hurra es sind 13!

Die erste Reaktion auf meinen neuen Blog war ein Grinsen: "Die Bibel steht da mit drauf? Und die wolltste jetzt ganz lesen? Na herzlichen Glückwunsch, dann fang mal an!" Ich habe gestern Abend noch Mails an meine ganze Familie rausgeschickt mit dem Link zu diesem Blog und dem Gedanken: "Ich mach das jetzt schnell offiziell, bevor ich´s mir anders überlege." Heute Morgen wurde mir dann schon etwas mulmig.

Erstmal mit was einfachem anfangen und dann hocharbeiten war der Plan. Ich könnte ja nach der Reihenfolge der Liste gehen. Bei Facebook steht die Bibel auf Platz sechs. Hm. Das stimmte mich jetzt erstmal nicht so glücklich, bis mir auffiel, dass auf dem ersten Platz Jane Austen steht. Ich hatte aber gestern noch gesehen, dass die BBC ganz groß das beliebteste Buch als Herr der Ringe auslobt. Sehr schön, gehe ich also nach deren Nummerierung, vielleicht ist die gnädiger. Die Liste die ich nämlich gestern direkt von der BBC verlinkt hatte, habe ich mir noch gar nicht so genau angeschaut. Während ich das nun nachholte atmete ich erleichtert auf, die Bibel ist nicht mal unter den ersten 50. Und dann wurde ich stutzig - unter den letzten 50 ist sie auch nicht! Hatte ich etwa die falsche Liste verlinkt? Wie peinlich. Ich fing an zu vergleichen und siehe da: die Bücher sind zu einem großen Teil ähnlich - aber nicht alle. Übrigens konnte ich auf der Seite der BBC auch nirgendwo einen Hinweis entdecken, der besagt, dass die meisten Menschen nur sechs der Bücher gelesen haben.

Fix mal gegoogelt die Geschichte. Das Ergebnis ist ein herrliches Beispiel dafür, wie urbane Mythen entstehen. Und wie einfach Facebook die Verbreitung macht. Dieser Artikel beschreibt den Aufbau des Hypes ganz gut. In Kurzform: 
1.  Die BBC bringt eine Liste heraus
2. Jemand liest sie und ist enttäuscht wie wenige von den Titeln er gelesen hat
3. Er passt die Liste so an, dass die Bücher die er tatsächlich gelesen hat nun mit draufstehen. So tauchen statt Der Pate und und Das Parfum auf einmal Die Chroniken von Narnia und Die Bibel auf.
4. In dieser angepasste Liste markiert er dann die Bücher, die er gelesen hat (jetzt natürlich sehr viel mehr) und schickt sie an seine Freunde. Außerdem macht er es noch ein bisschen spannend, indem er dazu schreibt, dass laut BBC die meisten Leute nur sechs davon gelesen haben. 
5. Wie so oft auf Facebook wird das Ding zum Selbstläufer.
Warum? Die Antwort ist einfach. 100 Bücher sind schön kompakt, ein guter Meilenstein. Durch das Thema Bücher und den angeblichen Kommentar der BBC fühlt sich jeder in seiner Intelligenz herausgefordert: "Was nur sechs? Bei mir sind´s bestimmt mehr, gib mal her das Ding!" Ein Facebook Hype ist geboren.

Tja... verarscht! Und was mache ich jetzt mit meiner schönen Idee? 

Na, genauso weiter natürlich. Sind ja immer noch 100 Bücher. Und auch wenn jetzt der kleine Prinz nicht mehr auf der Liste steht - was ist los mit den Briten?! - freue ich mich doch, dass noch drei weitere Bände Harry Potter mit draufstehen. Damit haben sich nämlich meine gelesenen Bücher auf 13 hochgeschraubt. Und das obwohl von der Facebook Liste vier weggefallen sind. (Hier möchte ich trotzdem nochmal jedem Drachenläufer (Hosseini) und Die Frau des Zeitreisenden (Niffenegger) ans Herz legen, die sind nämlich wunderschön und hätten es auf jeden Fall auf die Liste verdient!)

Es gibt 87 Geschichten zu entdecken! Her damit!

Das Projekt 100Bücher

Im Jahr 2003 veröffentlichte die BBC eine Liste der 100 beliebtesten Bücher aller Zeiten. Großbritannien hatte abgestimmt. Acht Jahre später tauchte diese Liste auf einmal auf der Hälfte aller Facebook Seiten meiner Freunde auf. Zusammen mit einer Aufforderung: "Markiere alle Bücher, die du gelesen hast. Laut der BBC haben die meisten Menschen höchstens 6 Bücher auf der Liste gelesen."

Ich habe da dieses Bild von mir: Begeisterte Leseratte und buchtechnisch überdurchschnittlich bewandert. Mein Lieblingsbuch habe ich bis zum heutigen Zeitpunkt 13 mal gelesen. Als derart passionierter Bücherwurm runzelte ich über diese Zahl nur die Stirn, bemitleidete die arme, unbelesene Bevölkerung und fühlte mich haushoch überlegen. Mein Hochgefühl währte 5 Minuten.

Ausgegangen war ich davon, dass ich mindestens die Hälfte der Bücher, wahrscheinlich aber mehr markieren könne. Nachdem ich mit Hängen und Würgen auf zehn Exemplare gekommen war, sah die ganze Sache auf einmal anders aus. Erschütternde 90 Bücher standen herrenlos auf meinem Facebook Profil herum. Und selbst bei den verbliebenen zehn muss ich gerechterweise zugeben: Ich bin mir fast sicher, Alice im Wunderland gelesen zu haben. Ganz eventuell könnte es aber auch sein, dass ich als Kind den Film so oft gesehen habe, dass ich mir das Buch nur ganz fest vorgestellt habe. Aber wir müssen es ja nun nicht übertreiben, 90 ungelesene Bücher sind auch so schon traurig genug.

Neunzig Bücher also. Neunzig weitere Bücher wurden zu den "besten aller Zeiten" gewählt und ich kannte sie nicht. Neunzig Geschichten, die es zu entdecken galt. Nichts wie los, dachte ich mir, die nächsten Bücher die du liest, kommen von dieser Liste! Nun ist es aber so, dass zu den beliebtesten Büchern der Briten nicht nur Harry Potter und Sakrileg zählen. Die habe ich natürlich, wie ein Großteil meiner Generation, verschlungen. Unter anderem lieben die Briten auch Tolstois Krieg und Frieden und Dostojewskis Schuld und Sühne. Und natürlich- die Bibel! Meine Herren, dachte ich mir, die liest du aber nicht mal eben morgens auf dem Weg zur Arbeit in der U-Bahn. Und sah meine Chancen jemals diese verdammte Liste zu bezwingen schon den Buch runtergehen.

Drei Monate ist das jetzt her. In dieser  Zeit habe ich ein weiteres Buch von der Liste gelesen - ich kann also hiermit stolz verkünden, dass ich nun bei elf Büchern angekommen bin! - und ansonsten mein Geld für die aktuellen Bestseller ausgegeben. Der Aha-Moment kam heute Morgen: Ich erwischte mich in der U-Bahn dabei wie ich, statt zu lesen, glasig in der Gegend herumglotzte. Der neue Roman von Carlos Ruiz Zafónden ich mir vollkommen übermotiviert in der Originalsprache gekauft hatte, erwies sich als absolut ungeeignet für meine morgendlichen Synapsenverbindungen. Bevor ich überhaupt bemerkte, dass ich zwar die Seite umgeschlagen hatte, aber schon seit 2 Absätzen den spanischen Text nicht mehr verstand, hatte sich mein Gehirn schon auf Gedankenreise gemacht. In diesen Gedanken tauchte auch die Liste der 100 Bücher auf. Und diesmal entschied ich mich, einen ernsthaften Versuch zu wagen.

Ich kenne mich gut genug um zu wissen, dass ich ohne ein bisschen Druck in ein paar Wochen entnervt Dantes Inferno zur Seite legen werde um lieber zum zehnten Mal Harry Potter zu lesen. Und deshalb habe ich das Projekt "100Bücher" gestartet. Von nun an werde ich zu jedem Buch auf der Liste einen Blogeintrag schreiben. Warum mir das Buch so gut gefallen hat, was es besonders macht oder warum ich mich in die Hauptfigur verknallt habe. (Mein Männerbild ist bis heute wesentlich durch Jamie aus Diana Gabaldons Highland-Saga beeinflusst!) Es könnte allerdings sein, dass ich mich nach beendigter Lektüre frage, was zur Hölle dieses Buch wohl auf der Liste zu suchen hat. Auch dafür werde ich dann meine Gründe beschreiben.

Beginnend an diesem Wochenende freue ich mich auf 89 verbleibende "beste Bücher aller Zeiten"! Ich hoffe die Briten meinen es gut mit mir.

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