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Sonntag, 13. November 2011

14.) Listen-Nr. 97, Die Liebe in den Zeiten der Cholera von Gabriel García Márquez

"Als sie den Mann sah, der sich so offenkundig für sie eingekleidet hatte, konnte sie nicht verhindern, dass ihr die brennende Röte ins Gesicht stieg. Sie war verwirrt, als sie ihn begrüßte, und ihn verwirrte ihre Verwirrung. Das Bewusstsein, sich wie ein Liebespaar zu benehmen, verwirrte beide noch mehr, und das Bewusstsein, verwirrt zu sein, verwirrte beide dermaßen, dass es Kapitän Samaritano vor Mitgefühl bebend registrierte. Er half ihnen über die Verlegenheit hinweg, indem er ihnen zwei Stunden lang die Bedienung des Steuers und der Maschinen des Dampfers erklärte."


Zum Inhalt:
Florentino Ariza ist 18, als er sich in die Schülerin Fermina Daza verliebt. Jahrelang schreiben sie sich Briefe, er glühende Liebesbriefe, sie pragmatische Erwiderungen. Als Ferminas Vater von diesem - gleichwohl platonischen, denn die beiden haben nicht einmal miteinander geredet - Verhältnis erfährt, entführt er Fermina auf eine Reise des Vergessens, denn er hat etwas besseres für sie vorgesehen, sie soll einmal reich heiraten und zu einer angesehenen Frau werden. Den Briefverkehr kann er damit jedoch nicht beenden, im Gegenteil: Fermina und Florentino verloben sich auf diesem Wege sogar miteinander. Erst als sie, nun schon eine junge Frau, von der Reise zurückkommt und ihren Verlobten wieder sieht, zerbricht die Beziehung. Fermina erkennt, dass ihre Liebe nur in den Briefen existiert hat und heiratet kurz darauf einen Anderen. Florentina Ariza jedoch schwört sich, ewig auf sie zu warten und ihr, wenn die Zeit reif ist, noch einmal seine Liebe zu beweisen. 51 Jahre, 9 Monate und 4 Tage später, bekommt er die Gelegenheit dazu.

Meine Meinung:
Wenige Jahre bevor dieses Buch veröffentlicht wurde bekam García Márquez den Literaturnobelpreis für seine Werke, "die Realismus mit Fantasie verknüpfen und das Leben und die Konflikte eines Kontinents abbilden". Das er es geschafft hat, als lateinamerikanischer Autor und mit Geschichten die sich auf ebenjenem Kontinent zutragen, auf der BBC Bestenliste sogar mit zwei Romanen vertreten zu sein, spricht ja schon Bände. Mit der "Liebe in den Zeiten der Cholera" erzählt García Marquez eine wunderbar nostalgische und eindringliche Liebesgeschichte auf die ihm eigene federleichte und dabei stellenweise extrem ironische Art. Diese unerschöpfliche Liebe eines immer älter werdenden Mannes zu einer gleichsam alternden Frau ist immer poetisch, oft ehrlich aber niemals kitschig erzählt. García Marquez geht spürbar liebevoll mit seinen Hauptfiguren um, erlaubt ihnen aber die Macken und kleinen Charakterfehler von echten Menschen und verpackt diese dann so charmant, dass auch der Leser die Figuren liebgewinnt. So handelt es sich bei dem Helden der Liebesgeschichte um einen frühzeitig kahl gewordenen Sonderling mit chronischer Verstopfung, während die Angebetete Fermina eine große Schönheit aber dabei eigensinnig und unreflektiert ist und so stur, dass ein Streit schon mal in monatelange Stille ausarten kann. Während sie damit beschäftigt ist, Kinder von ihrem Mann zu bekommen und auf Galaveranstaltungen zu erscheinen, hat Florentino in aller Stille dutzende Geliebte, über die er gewissenhaft Buch führt, bis er "25 Hefte mit 622 Eintragungen über dauerhafte Liebschaften" beisammen hat. Niemals jedoch handelt es sich um etwas Ernstes, denn er bleibt seiner Liebe zu Fermina Daza immer treu.

Wikipedia bezeichnet García Marquez Stil als "Magischen Realismus" und der Leser erahnt sofort auf den ersten Seiten, was damit gemeint ist. Das Buch beginnt mit dem Selbstmord eines Mannes, der für den weitern Verlauf der Geschichte unwichtig ist, jedoch glasklar die verschiedenen Einstellungen der Charaktere zu Liebe hervorhebt. Denn wo Ferminas Mann von dem Selbstmord seines Freundes und dessen nun herausgekommener jahrelanger heimlicher Liebe geschockt ist, sieht Fermina Daza die Sache aus einem ganz anderen Blickwinkel. Sie erkennt die Romantik an, mit der der Tote "auf jeden Fall mit 60 sterben" wollte und die große Liebe, die seine Geliebte dazu verleitet hatte, ihm bei diesem Entschluss zu helfen. (Ihre einzige Untreue besteht darin, nur einen lockeren Knoten in die Leine des Hundes zu machen, den Ihr Geliebter mit in den Tod nehmen möchte und der dann auch treu an seiner Seite die Giftgase einatmet, obwohl er sich hätte befreien können.) Dieses Talent eine "Geschichte in einer Geschichte" zu erzählen, macht die Bücher von García Marquez so faszinierend, er schafft es, in nur wenigen Sätzen eine ganz neue Dimension zu erschaffen. Dabei lässt er oft so unerwartet eine großen Tropfen bitterbösen schwarzen Humors mit einfließen, dass der Leser getroffen zusammenzuckt und dann laut herauslacht. Nachdem beispielsweise Florentino Ariza jahrelang erbitterten Widerstand gegen seinen Haarausfalls leistet und es "kein Opfer gab, dass er nicht auf sich genommen hätte, um jeden Zollbreit seiner Kopfhaut vor der gefräßig sich ausbreitenden Wüstenei zu verteidigen", kommt er schließlich auf die Idee, von seinem völlig kahlen Friseur zu zu einem zugezogenen Fremden zu wechseln, der nur bei zunehmenden Mond Haare schneidet. "Der neue Friseur war gerade erst dabei zu beweisen, dass er eine wahrhaft fruchtbringende Hand besaß, als sich herausstellte, dass er Novizinnen vergewaltigt hatte und im ganzen Antillenraum von der Polizei gesucht wurde; man führte ihn in Handschellen ab."

Fazit:
Eine wundervoll poetische Liebesgeschichte, erzählt von einem detailverliebten Realisten mit einer großen Portion Ironie. Wer denkt, Romantik und Realismus können nicht Hand in Hand gehen, irrt.
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