Montag, 21. Oktober 2013

"am Grab stand eine Frau in weiß..." etwas Mystery aus dem 19. Jahrhundert gefällig?

"When a sensible woman has a serious question put to her, and evades it by a flippant asnwer, it is a sure sign, in ninety-nine cases out of a hundred, that she has something to conceal."

Ich hatte schon Angst, dass ich dieses Jahr meine eigene Challenge verliere, weil ich im frühen Oktober mit gerade einmal acht von 12 zu lesenden Büchern punkten konnte. Und nachdem mich die letzten beiden Bücher die ich für die Challenge gelesen hatte (Alice im Wunderland und The magic Faraway Tree) so garnicht begeistern konnten, war ich etwas vorsichtig im Bezug auf die "Best-loved Novels". Stattdessen wäre ich um ein Haar zum wiederholten Male meiner Schnulzenschwäche erlegen.

Glücklicherweise fügte es sich, dass ich auf einer ewig langen Zugfahrt nur "Gut gegen Nordwind" eingepackt hatte, welches man ja nun wirklich mal eben innerhalb von 2 Stündchen so weglesen kann. Und da ich nun kein Buch aber noch einige Stunden Zug vor mir hatte, riskierte ich einen Blick in meine Kindle App, die zufällig, ganz passend zur Mila'schen Schmonzetten-Stimmung, auch mit "The woman in white" (1860) bestückt war. (Im Amazon Shop lassen sich viele der Bücher auf der Liste kostenlos herunterladen, wusstet ihr das?). Und mit dieser ziemlich typisch englischen Mystery-Geschichte hab ich jetzt auch endlich mal wieder einen Treffer gelandet.

Zur Story:

Der Kunstlehrer Walter Hartright bekommt den Auftrag, auf dem Landanwesen Limmeridge House die beiden Halbschwestern Marian und Laura zu unterrichten. Auf seinem Weg dorthin hat er allerdings eine seltsame Begegnung mit einer vollkommen in weiß gekleideten jungen Frau, die scheinbar aus dem Nichts auf der Landstraße auftaucht. Die offensichtlich verängstigte Frau fasst Vertrauen zu ihm, als sie sein Reiseziel erfährt - scheinbar hat sie in Limmeridge House einen Teil ihrer Kindheit verbracht und liebevolle Erinnerungen an die Familie dort. Kurz bevor sie ihn verlässt, fragt sie ihn nach seiner Bekanntheit mit einem gewissen Lord Percival Glyde, den sie offensichtlich gleichzeitig hasst und fürchtet, von dem er aber noch nie etwas gehört hat. Kurz nach dieser Begegnung erfährt Hartright, dass seine weiß gekleidete Zufallsbekanntschaft einige Zeit zuvor aus einer Irrenanstalt ausgebrochen und seitdem auf der Flucht ist.

Am Ziel seiner Reise angekommen, dauert es nicht lange und Hartright verliebt sich unsterblich in Laura, die jüngere der beiden Schwestern. Da in diesem Fall nicht  nur der große Standesunterschied der beiden ein Problem ist, sondern Laura auch seit Jahren schon einem anderen Mann versprochen ist, wird der Zeichenlehrer aus dem Haus gewiesen. Kurz vor seiner Abreise erfährt er jedoch den Namen des Verlobten seiner Angebeteten: Laura wird Sir Percival Glyde heiraten, den Mann vor dem die "Frau in weiß" so panische Angst hatte. Und nicht nur das - je mehr Walter darüber nachdenkt, desto klarer wird ihm außerdem, dass seine nächtliche Zufallsbekanntschaft und seine angebetete Laura sich verblüffend ähnlich sehen...

Meine Meinung:

Ich würde sagen, wer "Rebecca" mochte, der wird auch Spaß an "The Woman in white" haben. Mit seinen Romantik-, Mystery- und Krimi-Elementen ist Wilkie Collins Roman eine runde Mischung und lässt sich, trotz seiner knapp 600 Seiten flüssig lesen. Während in der ersten Hälfte des Buches die Spannung wirklich auch konstant auf einem sehr hohen Niveau ist, gibt es im hinteren Teil allerdings meiner Meinung nach einige Längen. Außerdem hatte ich so meine Probleme nachzuvollziehen, warum Walther Hartright sich denn da nun so unsterblich in Laura verliebt hat, die neben ihrer immer wieder erwähnten "milden Natur" dem Leser nicht wirklich viel zu bieten hat. Allerdings sind wir hier ja erstens im viktorianischen Zeitalter unterwegs, wo Frauen sich gefälligst sowieso im Hintergrund zu halten haben und außerdem bildet die Liebesgeschichte zwischen den beiden auch eher den Rahmen für die Story, in der Walters detektivische Ermittlungen noch überraschend tiefschürfende Erkenntnisse bringen werden.

Die Story lebt von ihren faszinierenden Nebencharakteren: Auftritt Marian und Count Fosco

Die Geschichte ist wirklich gut gestrickt, denn entgegen meiner Erwartung hat mich die Auflösung am Ende nicht enttäuscht (ich war mir zur Mitte des Buches hin ziemlich sicher, dass ich die ganze Story schon erraten habe und war schon mal vorsorglich enttäuscht von meiner angenommenen Einfachheit des Ausgangs. Ich hatte mich dann aber doch getäuscht und es kamen noch ein paar nette Wendungen und Plot Twists). Was das Buch jedoch für mich so fesselnd macht, ist weder sein Verlauf, noch sind es die vordergründigen Hauptfiguren, denn weder Walther noch Laura, noch Lauras undurchsichtiger Verlobter sind besonders komplex. Stattdessen haben mich die Nebenfiguren, nämlich Lauras Schwester Marian und der etwas später in der Geschichte auftauchende Count Fosco schwer fasziniert. Und natürlich die "Woman in White", aber über die verliere ich lieber nicht zu viele Worte, es soll ja schön mysteriös bleiben.

Mit Count Fosco hat Wilkie Collins einen Charakter geschaffen, den der Leser nicht mehr so schnell aus dem Kopf kriegt. Höflich, liebenswürdig und allem Anschein nach die gefährlichste Person im Buch - wenn Count Fosco erscheint, dann sind sogar die unberechenbarsten, wutschäumenden Hunde nichts als zahme Haustiere. Dieser Charakter ist so vielschichtig, dass auch nach der letzten Seite bei weitem nicht alle Geheimnisse um ihn geklärt sind. Marian dagegen ist eine ganz andere Geschichte, auf ihre Art aber nicht weniger erinnerungswürdig.

"The lady is dark. The lady is young. The lady is UGLY!"

Mit dieser (gekürzten) Einleitung wird uns Lauras Schwester charmanterweise von Walter Hartright vorgestellt. Marian, bei all ihrer Offenheit, ihrer Herzlichkeit und Intelligenz, fehlt es in ihrer Ausstrahlung an der "Geschmeidigkeit und Sanftmut" ohne die "the beauty of the handsomest woman alive is beauty incomplete." Diese Zeilen sagen ja schon eine Menge über das Frauenbild zur damaligen Zeit aus und im Laufe des Buches wird dieses Frauenbild auch immer wieder von Marian selbst unterstützt. Zwar ist sie der pfiffigste Charakter von allen, relativiert das aber immer wieder, indem sie Sätze sagt, in denen "Ich bin ja nur eine Frau" vorkommt. 
"You see I don't think much of my own sex, Mr. Hartright. No woman does think much of her own sex, although few of them confess it as freely as I do."
Das ist schon ein ziemlich krasses Statement dafür, dass das Buch von einem Mann geschrieben wurde, der ihr diese Sätze in den Mund legt. Alles in allem wäre es dem Charakter nach für mich wesentlich nachvollziehbarer, wenn sich Walter Hartright in Marian statt in ihre liebliche aber für den Handlungsverlauf eher nutzlose Schwester Laura verliebt hätte. Da Marian aber nicht nur mittellos, sondern ausdrücklich auch vom Hals aufwärts grottenhässlich ist - ihr Körper ist der Beschreibung nach wohl ziemlich bombastisch, aber das wiegt ihren "Schnurrbart" ("the dark down on her upper lip was almost a moustache") wohl nur unzureichend wieder auf - wird automatisch davon ausgegangen, dass sie für den Rest ihres Lebens eine alte Jungfer bleiben wird. Das Marian selbst mit diesem Leben aber vollkommen zufrieden sein soll und das einzige was im Leben zählt für sie das Wohl ihrer hübschen Schwester ist, die sie ja so heiß und innig liebt - das nehme ich dem Autor nicht so ganz ab. Ist aber auch Wurscht, das Buch bietet genug Geheimnisse und Verstrickungen, subtilen Grusel und Stress-Momente um auch den heutigen Leser bei Laune zu halten. 

Fazit:

Runde Geschichte aus der viktorianischen Epoche, die auch jetzt noch begeistern kann. Ein überzeugnender Plot mit einigen psychologisch auffälligen Charakteren, die in Erinnerung bleiben und gut gestrickten Wendungen. Dunkle und dichte Atmosphäre und Geheimnisse, die sich auch nach dem Lesen nicht ganz auflösen - so wie sich das für eine Mystery Geschichte gehört! Zur zweiten Hälfte wird es ab und zu etwas langatmig, vor allem die Stelle in der Lauras unsäglicher Onkel seinen Teil zur Erzählung beiträgt, die hätte ich vor lauter Ungeduld fast übersprungen und es reicht wirklich, sie zu überfliegen. Ansonsten aber defintiv empfehlenswert. Genau das richtige für einen stürmischen Herbstabend im Kerzenlicht. 


Ps: Das Buch wurde 1948 verfilmt, wobei der Regisseur wohl nicht nur das Ende geändert, sondern laut dieser ziemlich guten Filmbesprechung den Fakt, dass Marian hässlich sein soll, auch als unwichtig abgetan und einfach ignoriert hat. Gut zu wissen, denn ich hatte mich beim Bilder googlen doch auch schon sehr gewundert, Alexis Smith in der Rolle zu finden. 

The woman in white, 1948, Verfilmung mit Alexis Smith


Mittwoch, 9. Oktober 2013

Was tun, wenn man für ein Buch einfach zu alt ist?

Enyd Blyton, Heldin meiner Kindheit. Unter den über 750 Büchern, die die Dame Zeit ihres Lebens geschrieben hat, waren auch zwei meiner absoluten Lieblingsreihen: Hanni und Nanni und die Dolly-Bücher. Mädchengeschichten im Internat, kleine Streiche, große Lektionen, Friede, Freude, Eierkuchen. Schön war das. 

Ein paar dieser Bücher hatte ich vor einiger Zeit nochmal gelesen und musste feststellen, dass sie mir irgendwie wesentlich kürzer und oberflächlicher vorkamen als damals. Trotzdem habe ich mich sehr gefreut, auf der 100 Bücher-Liste ein Enid Blyton Buch zu entdecken: The Magic Faraway Tree. Kunterbuntes Cover mit großer Schrift auf nur 200 Seiten. "Das les ich dann mal, wenn ich ein Lese-Tief habe und die Challenge schnell wieder aufholen muss!" dachte ich mir damals. Pustekuchen! MONATE hab ich gebraucht, um das kleine Büchlein zu lesen. Auch wenn mir das Cover jedesmal beim Anschauen gute Laune macht, verfrachtet mich die Geschichte, sobald ich auch nur eine Seite lese, zuverlässig in den Tiefschlaf. 

ICH BIN ZU ALT! Hilfe!

Zur Story:

Bei dem Buch handelt es sich (was ich nicht wusste und grad erst bei Wikipedia erfahren habe) um den zweiten Teil einer Trilogie, in der drei Kinder einen magischen Riesenbaum in einem verzauberten Wald entdecken. In diesem Baum leben viele wunderliche Gestalten mit denen sich die Kinder anfreunden. Doch das wirklich erstaunliche an dem Baum ist seine Spitze: Erklimmt man diese, findet man sich in einem fremden Land wieder und zwar jedes mal in einem anderen, denn die Länder verschwinden nach einiger Zeit um Platz für neue Länder zu machen. 

Die Kinder müssen enorm aufpassen, dass sie nicht in einem Land steckenbleiben, denn in diesem Fall kommen sie erst wieder zurück zum Baum, wenn das jeweilige Land wieder an der Reihe  ist. Und das könnte wirklich unangenehme Folgen haben, denn manche der Länder sind gar nicht lustig; zum Beispiel das "The Land of Tempers". Wer hier seine gute Laune verliert, bleibt ewig in diesem Land gefangen. Es gibt aber auch Länder, von denen jedes Kind träumt, zum Beispiel "The Land of Goodies" in dem es lauter Süßigkeiten zum Mitnehmen gibt. Im zweiten Band ist die Geschichte - so weit ich das ohne den ersten Band gelesen zu haben, beurteilen kann - die gleiche, nur dass die drei Kinder jetzt ihren Cousin Rick mit auf den Baum nehmen.

Funny Fact:

Das Buch ist von 1943. Die vier Kinder heißen im Original Jo, Bessie, Fanny und Dick. Die ersten Beiden wurden, wahrscheinlich aus Hipstergründen, in Joe und Beth umgenannt. Und Fanny und Dick? An dieser Stelle dürft  ihr euch, unabhängig vom Alter, ein unreifes kleines Kichern gestatten. Denn aufgrund der Tatsache, dass beide Namen im Englischen mittlerweile als umgangssprachliche Synonyme gewisser Geschlechtsteile benutzt werden, heißen die armen Kinder nun Frannie und Rick. 

Meine Meinung:

Och joa. Also als Kind hätte ich das Szenario vermutlich heiß und innig geliebt! Mit viel Fantasie beschreibt Enid Blyton hier diverse Kindertraum-Länder. Es gibt zum Beispiel das Land der Geschenke, in dem sich einfach nach Herzenslust bedient werden darf und die Kinder sowohl für sich als auch für ihre Elten etwas mitnehmen dürfen. Oder das Geburtstagsland, in dem Beth den besten Geburtstag ihres Lebens feiert. Andererseits gibt es auch ziemlich verrückte Länder, so wie das Topsy-Turvy Land, wo alles auf dem Kopf steht und ein fieser Polizeimann Joe verhext, damit er auch auf dem Kopf stehen muss.

Für die heutige Mila war das Ganze aber doch etwas sehr kindlich und oberflächlich, vor allem auch weil man die Charaktere überhaupt nicht kennenlernt und  die Länder halt dauernd... naja... wechseln. Kurzum: die heutige Mila ist für dieses Buch zu alt!

Man beachte bitte, dass ich mich stur weigere, auch nur in Betracht zu ziehen, dass es vielleicht am Buch liegt. Ist ja schließlich Enid Blyton! Und ziemlich sicher würde jedes Kind zwischen sechs und - ähm - sieben (?) das Buch lieben! Ich hab hier leider grad so wenig Siebenjährige vorrätig an denen ich diese Theorie beweisen könnte. Falls ihr einen oder mehrere von der Sorte zufällig im Haus habt, probiert es doch mal aus. Sollte ich mich tatsächlich irren und es liegt nicht an meinem Alter, sondern wirklich am Buch: das tolle Cover macht sich auch ungelesen ganz hervorragend im Bücherregal.

Nun aber zur Frage in der Überschrift: Was tun, wenn man für ein Buch einfach zu alt ist?

Na, das einzig vernünftige: Benehmt euch wie anständige Erwachsene und malt die Bilder aus! 
Man bediene sich hierzu, auf Rat der Künstlerin, am Besten eines Vierfarbenstiftes. Erwachsener geht's nicht.




Edit: Na aber Hallo, da hab ich mit meiner Einschätzung gar nicht so falsch gelegen!

Nachdem ich diesen Post veröffentlicht habe, hab ich noch ein bisschen bei Wikipedia rumgelesen und herausgefunden, dass Enid Blyton eine ziemlich umstrittene Person war. Nicht nur, dass sie ihren Mann mehrfach betrogen und ihm hinterher verboten hat, seine Kinder zu sehen - besagte Kinder haben später ihre Mutter als arrogante und versnobte Person ohne mütterlichen Instinkt beschrieben. Außerdem waren Blytons Bücher in vielen Büchereien und bei der BBC jahrelang einem Bann ausgesetzt, weil sie nicht nur als mittelmäßige Literatur empfunden wurden, sondern oft auch als rassistisch, sexistisch und veraltet. Da hatte ich jetzt wirklich nicht mit gerechnet. Besonders geschockt war ich allerdings davon, dass die Hanni und Nanni Bücher (die im Englischen übrigens "St. Clare`s" heißen und das Leben der Zwillinge Patricia und Isabell Sullivan beschreiben!) im Nachhinein auch noch abgeändert wurden. In früheren Versionen wurden die Mädchen in der Schule nämlich noch geschlagen. Lest euch mal den Wikipedia-Artikel durch, der ist ziemlich spannend.
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