Mehrere Leute haben mich nach dem letzten Post - in dem ich von meinem neuen Lieblingsbuch "Gone with the Wind" schwärme - darauf angesprochen, wie das Buch mit der Sklavenfrage und mit Rassismus generell umgeht. Während des Lesens konnte ich diese Frage nicht abschließend beantworten. Außerdem konnte ich mir, das nur als Randnotiz, vorstellen, dass es für die Autorin auch gar nicht so ungefährlich gewesen wäre, ihre Meinung allzu deutlich klarzumachen. Wir befinden uns hier schließlich in den USA der 30er Jahre, Rassentrennung war hochaktuell, Martin Luther King gerade mal eben geboren.
Nicht die beste Zeit, um allzu deutliche Sympathien zu bekunden.
Margaret Mitchell hat es meiner Meinung nach verstanden, ihre eigene Position nicht preiszugeben und stattdessen ihren Figuren Kommentare in den Mund zu legen, die den Leser zum selbstständigen Nachdenken bringen sollen. Dabei muss man sich auf sein eigenes Urteilsvermögen verlassen, um zu erschließen wer nun eigentlich nach Auffassung der Autorin Recht haben soll, denn die Hauptcharaktere sind nie definitiv als "gut" oder "böse" eingestuft. Sie alle sind sehr komplex, haben gute und schlechte Seiten, gute und schlechte Gedanken, gute und schlechte Gewohnheiten. Zumindest nach heutigen Standards. Und - sehen wir es mal nüchtern - es gibt in dem Buch keine einzige Figur, die nicht auf eine bestimmte Weise ziemlich dämlich ist. Wer hier Vorbilder sucht, wird kaum fündig werden. Das war es für mich gerade, was die Geschichte so einzigartig macht. Deswegen war ich mir auch nach intensivem Nachdenken nicht ganz sicher, welche Position die Autorin nun eigentlich propagiert. Ich komme in diesem Post aber zu einer Vermutung.
Im Bezug auf Rassismus in Gone with the Wind sind es letztendlich folgende Fragen, die mir auf der Seele brennen:
- Welche Position nimmt das Buch bezüglich der Sklavenfrage ein? Propagiert es Rassismus?
- Wie akkurat werden die Sklaven-Besitzer Beziehungen in Gone with the Wind beschrieben? Bzw: Hat die Beziehung zwischen Sklaven und Ihren Besitzern irgendeinen Bezug zur Wirklichkeit, oder ist das romantisierter Quatsch?
Über beide Fragen könnte man wahrscheinlich ein eigenes Buch schreiben, ich werde aber versuchen, mich kurz zu halten. Trotzdem wird die Beantwortung (oder der Versuch einer Beantwortung) der beiden Fragen je einen Artikel in Anspruch nehmen. Dieser hier beschäftigt sich mit der ersten Frage.
- Welche Position nimmt das Buch "Gone with the Wind" bezüglich der Sklavenfrage ein? Propagiert es Rassismus?
Das Zitat in der Überschrift stammt aus einer der für mich ergreifendsten Szenen des ganzen Buches. Sie beginnt, als Scarlett nach dem Krieg von ein paar Yankee Frauen gefragt wird, wo sie ein gutes Kindermädchen finden könnten. Hier ist, was passiert:
"That shouldn't be difficult." said Scarlett and laughed. "If you can find a darky just in from the country, who hasn't been spoiled by the Freedman's bureau, you'll have the best kind of servant possible." Woraufhin die Yankee Frauen empört antworten, dass sie ihre Babies bestimmt nicht einem "black nigger" anvertrauen, denn "I wouldn't trust them farther then I could see them, they give me the creeps."
Scarlett ist gerade damit beschäftigt, an die "dear and comforting hands" ihrer schwarze Haushälterin "Mammy" zu denken, mit der sie ein engeres Verhältnis hat, als mit ihrer eigenen Mutter, als die Frauen beginnen, sich offen über Uncle Peter lustig zu machen. Der alte Haussklave, der Scarlett an diesem Tag herumfährt und während der obigen Konversation neben ihr sitzt, muss sich gefallen lassen, dass die Frauen ihn mit den folgenden Worten verspotten:
"Look at that old nigger swell up like a toad. I'll bet he's an old pet of yours, isn't he? You southerners don't know how to tread niggers. You spoil them to death."
Scarletts Reaktion darauf ist extrem aufschlussreich, wenn wir analysieren wollen, wie dieses Buch mit der Sklavenfrage umgeht.
"Scarlett felt, rather than saw, the black chin begin to shake with hurt pride, and a killing rage swept over her. [...] If it were to her own advantage, she would have endured insults about her own virtue and honesty. But the knowledge that they had hurt the faithful old darky with their stupid remarks fired at her like gunpowder. [...] They deserved killing, these insolent, ignorant, arrogant conquerors."
Wir sprechen hier von Scarlett O' Hara, der Frau ohne Gewissen, die kein Problem damit hat, ihre komplette Nation von den Yankees beleidigen zu lassen, wenn nur sie dadurch Gewinn macht. Die sich sogar selbst beleidigen lässt, ohne dass es ihrem Stolz besonders zusetzt, weil sie ja weiß, dass sie die Yankees letztendlich um ihr Geld erleichtert. ABER in dem Moment, in dem Uncle Peter beleidigt wird, verliert sie um ein Haar ihre Selbstbeherrschung.Sie schafft es gerade so, mit den Worten "Uncle Peter is one of our family. Good afternoon. Drive on, Peter" die Flucht zu ergreifen, bevor die Sache eskaliert.
Aus dieser Szene lassen sich mehrere Dinge schließen:
- Zu Ihren Sklaven hat Scarlett ein engeres Verhältnis und wesentlich mehr Vertrauen als zu irgend einer weißen Person im ganzen Buch, einschließlich ihrer eigenen Familie.
- Es wird suggeriert (und nicht nur an diesem Punkt), dass die Yankees die Befreiung der Sklaven dazu genutzt haben, um die Südstaaten plattzumachen und die Sklaven gegen ihre früheren Eigner aufzuhetzen, selbst aber wesentlich rassistischer waren, als die Südstaatler, so dass sie folglich nach deren Befreiung nicht mehr wussten, was mit den ganzen ehemaligen Sklaven passieren sollte.
- Uncle Peter ist "part of the family" und bleibt selbstverständlich freiwillig bei "seiner" Familie, obwohl er die Chance hätte, die neue Freiheit zu nutzen.
Aus diesen Erkenntnissen ließe sich nun schließen, dass Sklaven in "Gone with the Wind" wohl nicht die geknechteten, unmenschlich behandelten Kreaturen sind, als die sie oft in anderen Geschichten behandelt werden. Sie waren absolut loyal ihrer Familie gegenüber und blieben freiwillig, auch als sie es nicht mehr mussten. Sie hatten eine Vertrauensposition innerhalb ihrer Familie, wurden geschätzt, vielleicht sogar geliebt und beschützt.
Beschützt?
Und hier kommen wir zu einem der Knackpunkte!
Denn auch wenn es im Licht der Geschichte ja durchaus ehrenwert ist, dass Scarlett Uncle Peter gegenüber einen so starken Beschützerinstinkt hat (immerhin hat sie den nicht vielen Menschen gegenüber, zumindest nicht so offensichtlich), wird doch auch klar, dass Uncle Peter überhaupt keine Chance hat, sich selbst gegen die weißen Frauen zu wehren. Er mag ja ein Teil der Familie sein, aber er ist ganz bestimmt kein gleichberechtigter Teil. Und eine Seite weiter wird klar, dass er das in Scarletts Augen, bei aller Liebe, auch nie sein könnte:
Scarlett thought "What damnable queer people Yankees are! Those women seemed to think that because uncle Peter was black, he had no ears to hear with and no feelings, as tender as their own, to be hurt. They did not know that negroes had to be handled gently, as though they were children, directed, praised, pettet, scolded.[...] Not trust a darky! Scarlett trusted them far more than most white people, certainly more than she trusted any Yankee. There were qualities of loyalty and tirelessness and love in them that no strain could break, no money could buy."
Wir sehen also wie Scarlett, als eine der oft am rational denkendsten Figuren des ganzen Buches, vollkommen selbstverständlich davon ausgeht, dass Schwarze zu einer anderen Art Mensch gehören. Im Gegensatz zu vielen anderen Geschichten (Django...) werden die Sklaven hier definitiv menschlicher behandelt (Sscarlett ist zum Beispiel vollkommen aufgebracht darüber, dass die Yankees denken, alle Südstaatler hätten einen "Sklavenhund", der entlaufene Sklaven jagt, oder würden ihre Sklaven regelmäßig auspeitschen) - aber das bringt sie noch lange nicht dazu, Uncle Peter als gleichwertigen Menschen zu sehen. Selbst wenn viele der Eigenschaften, die sie ihm zuschreibt sogar positiver sind, als die, die sie ihren weißen Mitmenschen zuschreibt - sie schreibt ihm unleugbar andere Wesenzüge zu, aus dem einfachen Grund, dass er eine andere Hautfarbe hat.
Somit ist wohl klar, dass Scarlett durchaus rassistisch ist.
Allerdings sind das ja immer noch Scarletts Gedanken, womit noch nicht bewiesen ist dass das Buch an sich (bzw. die Autorin an sich) eine rassistische Grundhaltung propagiert. Scarlett ist eben ein Kind ihrer Zeit und dazu erzogen, in bestimmten Denkmustern zu denken. Genau wie alle anderen Menschen dieser Gesellschaft. Schließlich ist die Grundhaltung der allermeisten Männer in diesem Buch auch absolut diskriminierend Frauen gegenüber - was, bei einer solchen Heldin, definitiv keine Meinung ist, die von der Autorin unterstützt wird. Im Gegensatz zur Sklavenfrage wird die Haltung Frauen gegenüber von der Autorin allerdings klar verurteilt: "In fact, men gave the ladies willingly everything in the world except credit for having intelligence." Und das ist nur eines von vielen Zitaten aus denen ersichtlich wird, wie wenig die Autorin von der damaligen Einstellungen Frauen gegenüber hält. Im Gegensatz dazu gibt es im ganzen Buch keine klare Position, die Rassismus verurteilt. Weder als Bestandteil der Hintergrunderzählung, noch als Satz, der einer der Figuren in den Mund gelegt wurde.Von daher muss wohl davon ausgegangen werden, dass sowohl die Autorin als auch die Geschichte tendenziell eine rassistische Grundhaltung propagieren.
Sollte man das Buch deshalb nicht lesen?
Im Gegenteil! Ich halte es sogar für sehr lehrreich, was die Einstellung der Menschen zu dieser Zeit betrifft. Und als aufgeklärter Mensch der Gegenwart sollte es wohl möglich sein, alle Gedanken und Handlungen der Menschen damals zu sehen und sich zu denken - "Gut, dass ich es besser weiß!"
Und falls ihr mal daran zweifelt solltet, ob ihr es wirklich besser wisst, falls mal auch nur der Hauch einer rassistischen Anwandlung bei euch auftaucht - schließlich gibt es auch unserer Gesellschaft immer noch haufenweise gefährlicher, unterbewusster Vorurteile - schaut euch dieses Video an. Es ist verdammt erschreckend zu sehen, wie man Kinder innerhalb von Minuten dazu bringen kann, einander zu diskriminieren. Und ermutigend zu erkennen, dass es eigentlich nur ein bisschen Empathie braucht, um das ganze verlogene Prinzip von Rassismus zu durchschauen - und anzufechten.
Ps: Im Gegensatz zur relativ einfach zu durchschauenden rassistischen Grundhaltung der Figuren finde ich übrigens die Verharmlosung der Sklaverei in diesem Buch wesentlich gefährlicher. Aber dazu dann nächstes Mal mehr. Schönen Gruß an alle, die beim Lesen tatsächlich bis hierhin durchgehalten haben. Ihr kriegt ein Eis.