Donnerstag, 1. Dezember 2016

My first NaNoWriMo: 12 Dinge, die ich beim Schreiben meines ersten Buches gelernt habe



Alter Schwede. Am Dienstag, den 29.11. habe ich meinen Wordcount im NaNoWriMo-Dashboard auf 50.541 Wörter gestellt. Und das, nachdem da am Sonntag Abend noch unter 40.000 drin standen. Das Gefühl nach dem NaNo kann man nicht beschreiben, das muss man erlebt haben. Es ist vielleicht so, wie endlich die Master Arbeit abgeben, nur dass man auf dem Weg dorthin unendlich viel mehr Spaß hat (ich zumindest), viel mehr lernt (auch ich, traurigerweise) und sehr viel weniger Zeit hat (hätte ich 2012 kein Jobangebot bekommen, würde ich wahrscheinlich heute noch an meiner Masterthese sitzen...)

Für alle, die den NaNoWriMo (National Novel Writing Month) nicht kennen, hier nur ein paar ganz knappe Stichwörter:
  • Jedes Jahr im November
  • Mind. 50.000 Wörter in einem Monat
  • Der Einzige der das nachprüft, seid ihr selber
  • Vorwissen ist nicht nötig 
Das wars, im Wesentlichen. Theoretisch ist nicht mal eine Idee nötig, denn in den Hunderten von Foren gibt es nicht nur Tausende "Wrimos", die das gleiche Ziel haben, sondern auch ihre Ideen zur Adoption freigeben oder bei der Ausgestaltung der eigenen Idee helfen. Ich habe relativ spät angefangen, die Foren zu nutzen, dann aber gelernt, dass sie eins der genialsten Features am NaNoWriMo sind! Was habe ich noch über mich gelernt?

1. Ich schreibe langsamer als ich dachte.

Tja. Ich habe pro Tag ca. 4 Stunden zum Schreiben eingeplant, wobei ich damit gerechnet habe, dass ich an einigen Tagen auch gar nicht zum Schreiben kommen würde. Bei ca. 1.667 Wörtern, die man durchschnittlich am Tag schaffen muss, um am Ende des Monats auf die 50.000 zu kommen, bin ich davon ausgegangen, das das luxuriös viel Zeit ist. Nur um dann rauszufinden, dass mein durchschnittliches Schreibtempo bei 500 Wörtern pro Stunde liegt. 

2. Abends bin ich nur im Ausnahmefall noch produktiv

Das ist theoretisch ja ganz hervorragend und passt genau, aber es fiel mir nicht nur sehr schwer, länger als drei Stunden (allerhöchstens!) am Stück konzentriert zu arbeiten, sondern ich habe auch gemerkt, dass ich Abends nach acht Uhr nur noch im Ausnahmefall produktiv bin (zum Beispiel wenn ich weiss, dass ich in den nächsten zwei Tagen 10.000 Wörter schaffen muss, weil ich sonst verliere).

3. Vorarbeiten? Vergiss es!

Jeden einzelnen Tag in den ersten drei Wochen dachte ich: "Na komm, heute machst du mal mehr, als du musst, dann hast du nach hinten raus einen Puffer!" Pfff... keine Chance. Normalerweise habe ich mich jeweils Morgens drei und Abends ein bis zwei Stunden an den Computer gesetzt, je nachdem wie viel Zeit ich hatte. Sobald ich jedoch Morgens schon ungefähr auf meine Wörter gekommen war, konnte ich mich Abends plötzlich nicht mehr konzentrieren. Danke Gehirn. 

4. Wer schreiben will, muss lesen. ABER VOR ALLEM SCHREIBEN!

Stattdessen bin ich in diesen Fällen in die Badewanne gegangen und habe einen Tipp von Stephen King befolgt: "Wer schreiben will, muss vor allem lesen." Und er hat Recht, lesen hilft wirklich enorm zu erkennen, wie andere Autoren bestimmte Dinge angehen, Spannung aufkommen lassen, Charaktere einführen, Flashbacks schreiben, etc. Das funktioniert aber nur, wenn man sich gleichzeitig auch im Prozess des Schreibens befindet (also nicht in der gleichen Sekunde, wir verstehen uns), denn dann kann man das Gelernte auch anwenden, bzw. die eigenen Fragen evtl. in anderen Büchern gelöst sehen. Diese Fragen stellen sich aber erst beim Schreiben. Der stetige Wechsel aus Lesen und Schreiben war für mich also wirklich lehrreich. Ansonsten würde ich sagen, gibt es mit dem Lesen im November ein klitzekleines Problem: Es hält vom Schreiben ab! 

5. Verwirrt zog sie die Augenbrauen zusammen.. ach nein, tat sie doch nicht, verdammt.

Ich hatte noch ein anderes Problemmut dem Lesen, denn meine Wahl fiel auf die Hunger Games. Wahrscheinlich ungefähr zum 15. mal, aber erst jetzt wo ich selbst auch mal etwas geschrieben habe, verstehe ich wirklich wie GUT die Bücher geschrieben sind. Sie sind nicht nur spannend, mit starken Figuren und einer Hammer Geschichte - die Autorin hat es auch geschafft, fast komplett auf Adjektive zu verzichten! Das habe ich früher überhaupt nicht gemerkt, aber nun stand ich plötzlich vor der Frage: Wie zum Teufel hat die das hinbekommen?! 

6. Bloß nicht perfektionistisch werden. Man kann alles retten, ausser einer leeren Seite.

Ich war also von den Hunger Games nicht nur NOCH begeisterter als sowieso schon, sondern, zugegeben, ganz schön eingeschüchtert. Da rennt Katniss rum, mit dieser wahnsinnigen Charakterentwicklung während Fuchs, meine Titelheldin, die ganze Zeit nichts anderes macht, als verwirrt oder erstaunt ihre verdammten Augenbrauen hochzuziehen. In den ersten paar Tagen habe ich deshalb viel Zeit damit verbracht, mir zu überlegen, wie ich dieses oder jenes Gefühl durch Handlungen oder einen besseren Dialog darstellen kann. NaNoWriMo ist nicht der Monat dafür. Nachdem meine Wortkurve irgendwann so weit zurück war, dass ich schon langsam daran gezweifelt habe, ob ich es überhaupt noch schaffen kann, hab ich mich vom Perfektionismus verabschiedet und mich einfach nur darauf konzentriert, meine Wörter aufs Papier zu bringen. Und bei jedem Rückfall hat mir das Zitat von Nora Roberts geholfen:

"You can fix anything but a blank page"
Und siehe da. Nach ein paar Wochen regelmässigen Schreibens ging es von ganz alleine besser.
(Was nicht heisst, dass ich nicht Morgens über Sätze gestolpert bin, die ich Abends beim Einnicken noch schnell hingetippt habe - und mich beim besten Wissen nicht erinnern konnte, was ich damit eigentlich sagen wollte.)

7. Procrastination perfektioniert. Auf mich kann ich mich verlassen.


Könnt ihr euch bitte mal diese Wordcount-Kurve anschauen? Ich kenne mich ja nicht erst seit gestern, deswegen kann ich mittlerweile ganz gut einschätzen wie ich meine eigene Faulheit am Ende noch auffangen kann. Ich weiss, dass ich mich eigentlich auf mich verlassen kann und dass ich, wenn ich mir etwas vorgenommen habe, es am Ende auch durchziehe. Beim NaNo lebt es sich wirklich heikel mit so einer Einstellung. Da sind wir dann hier Zuhause nämlich am Wochenende alle krank geworden und ich war plötzlich so weit zurück, dass ich schon kurz davor war, das Ding einfach zu knicken. Ich wusste ja, dass ich durch Punkt 1 und 2 nie im Leben innerhalb von 3 Tagen auf 10.000 Wörter komme. Und was ist passiert? Ich hab Montags 5.000 Wörter aufs Blatt geknallt und war Dienstags fertig. Einen Tag vor der Deadline. Läuft, ne? (Diesmal wärs aber echt fast daneben gegangen, Mila, Mannomann!)

8. Ich bin definitiv kein Pantser

Beim NaNoWriMo werden zwei Typen von Autoren unterschieden: Die Pantser ("flying by the seat of your pants when writing a novel") starten am ersten November mit nichts als einer Idee und schreiben einfach drauflos, bis sie die paar Hundert Seiten voll haben, die sich mit 50.000 Wörtern so circa füllen lassen. Ich weiss nicht, wer diese Menschen sind, bin aber überzeugt, dass sie Genies sein müssen. Hätte ich nicht den ganzen Oktober damit verbracht, mir meinen Plot zurechtzulegen und meine Szenen zu planen, wäre mir spätestens nach einem Drittel die Puste ausgegangen. Die ersten zehn bis zwölf Tausend Wörter konnte ich im Eifer der ersten Woche noch einigermaßen linear unterschreiben, aber dann kommt - und ich glaube bei fast jedem - dieser Moment, wenn man sich wirklich motivieren muss, um sich den x-ten Tag in Folge wieder dranzusetzen. Und mir hat es extrem geholfen, dass ich einfach in den Szenen springen konnte. Hatte ich auf einen bestimmten Handlungsstrang an dem Tag einfach partout keinen Nerv, habe ich eben eine Szene aus einem anderen Teil des Buches geschrieben und sie dann hinterher miteinander verknüpft. Am nächsten Tag kann nämlich alles schon wieder ganz anders aussehen. Ohne allerdings eine schon vorher festgelegte Storyline stelle ich mir das Ganze echt schwierig vor.

9. Ein gewisses Wissen über Story Architektur ist notwendig.

Ich hatte vor diesem NaNoWriMo nicht nur noch nie ein Buch geschrieben, sondern auch null Ahnung davon hat, wie Bücher normalerweise geschrieben werden. Es war deshalb für mich eine RIESEN-Offenbarung, dass der Aufbau von Geschichten eigentlich immer dem gleichen Schema folgt. Völlig fasziniert habe ich alle Bücher aus meinem Regal geholt und eins nach dem anderen bei ca. einem Viertel der Seiten aufgeschlagen. Und siehe da: Ohne Ausnahme passiert auf diesen Seiten etwas wichtiges, so wichtig, dass der Held keine andere Chance hat, als bis zum Ende des Buches durch diese Geschichte zu gehen. Woah, was für eine Riesen Glühbirne da aufgegangen ist. Gott sei Dank habe ich mir im September und Oktober die Zeit genommen, mich mit dem Thema Story Architektur auseinander zu setzen. Ohne ein Verständnis für die Grundsätze hätte ich mich nicht nur mit den 50.000 Wörtern schwer getan - ich hätte schon beim Planen der Geschichte ein Problem bekommen. Sehr dankbar bin ich deshalb Larry Brooks, der sein echt hilfreiches Buch "When every month is NaNoWriMo" für nur 99 Cent als Kindle Version bereitstellt. (Alle Artikel sind auch auf seinem Blog zu finden, aber ich fand es ganz schön, mich nicht so durchklicken zu müssen)

10. Im November gibt es nur die blanke Seite und mich. Und mein Backup.

Durch Zufall bin ich auf eine Promotion der Software Ulysses gestoßen. Ich hatte mich nicht viel damit befasst wie ich mein Buch denn eigentlich schreiben will und hätte ansonsten vermutlich einfach Word genutzt, aber Ulysses ist so. viel. besser! Das Programm ist offensichtlich von Leuten entwickelt worden, die selbst schreiben und genau wissen, was ein Autor braucht und was er nicht braucht. Die Funktionen sind sinnvoll, die Tutorials, wenn man sie braucht, einfach zu verstehen und das Ganze ist super schnell zu meistern, selbst wenn man keinen Plan von Technik hat und sich auch nicht damit befassen möchte. Der Export ist mega easy und das Programm zaubert das Geschriebene mit einem Klick in ein sauber formatiertes Dokument, dass direkt wie ein Buch aussieht. Ulysses kann noch viel mehr, aber das meiner Meinung nach ganz große Plus ist der Editor, der sich so einstellen lässt, dass auf dem Monitor nichts als der gerade geschriebene Text auf einer weissen Seite zu sehen ist. Und wie wunderschön ist der eigene Text auf einer vorher weissen Seite? Buchstäblich etwas zu schaffen, was vorher noch nicht da war. Irres Gefühl. 

Screenshot von meinem Monitor mit Ulysses Editor. Hach, schön, ne? 


Und damit das irre Gefühl sich nicht plötzlich in irre Panik verwandelt, verbindet sich Ulysses mit iCloud und speichert den ganzen Spaß im gleichen Moment, in dem man ein neues Wort schreibt. Ich habe mir auch direkt die Ulysses App für mein iPhone geleistet, was ein paar mal ganz nützlich war, wenn mir unterwegs eine Idee gekommen ist.

11. Was in der Planung schon hakt, funktioniert auch in der Geschichte nicht.

Während ich im Oktober meine Geschichte geplant habe, war ich öfter mal faul. Es gab ein paar Szenen, bei denen ich keine Ahnung hatte, wie der jeweilige Charakter da wieder rauskommt, oder warum etwas genauso passiert ist wie es dort passiert oder warum das da jetzt Sinn macht. Manchmal hab ich mir dann gesagt: "Ach egal, das wird sich beim Schreiben schon herausstellen." Nope. An den Stellen, die mir schon bei der Planung Probleme gemacht haben, hab ich mich dann im November echt aufgehängt. Und das Problem war, dass ich während des NaNoWriMos keine Zeit hatte, den Plot nochmal zu überdenken. Es war zwar faszinierend und lehrreich und irgendwie auch heilsam, einfach über Plot Löcher hinwegzuschreiben, aber ich hätte es mir einfacher gemacht, wenn ich die entsprechende Vorarbeit besser gemacht hätte. (Das heisst übrigens nicht, das mir nicht während des Schreibens laufend neue Ideen gekommen sind. Die kamen aber vorzugsweise dann, wenn ich sowieso wusste,wo ich hinwill.)

11. Die Foren sind voller Problemlöser. Ich muss da nicht alleine durch.

Zeit ist beim NaNoWriMo ein knappes Gut, wenn man es nicht gerade schafft, sich den ganzen November freizunehmen - und wer schafft das schon? Am Anfang des Monats habe ich ein paar mal in den Foren gesurft und mich gefragt, ob die Leute die sich dort über mangelnde Zeit beschweren, nicht besser schreiben sollten. Dann hätten sie mehr Zeit?! Eigentlich ein No-Brainer. Dann hatte ich aber ca. Mitte November plötzlich ein Riesen Loch in meinem Plot, das mir während der Planung irgendwie entgangen war und erst da habe ich den wirklichen Vorteil der Foren erkannt. Man muss das nicht alles alleine durchziehen. Überall auf der Welt sitzen Leute, die genau das gleiche versuchen. Und sich gegenseitig helfen. Ich hatte, innerhalb von einem Tag nachdem ich mein Problem im "Plot Doctoring" Forum gepostet habe, so viele geniale Antworten, dass ich nicht nur meine eigentliche Frage, sondern gleich noch einige weitere Probleme in meinem Plot klären konnte. Im nächsten Jahr werde ich die Foren auf jeden Fall schon während der Vorbereitungszeit viel aktiver nutzen.

12. (Bonus) 

Ich habe einen Bachelor und einen Master Abschluss, in meinem Leben diverse Male vor großem Publikum gesprochen, mit fünf Jahren auf einer Bühne "Der Teufel und der junge Mann" von Paola (!) Playback gesungen und noch eine ganze Menge anderer Dinge vollbracht, für die ich mit mehr oder weniger Talent gesegnet war. Aber ich war noch NIE so stolz wie in dem Moment, als ich die verdammten 50.000 geknackt habe!!! 


Ich bin die Linke mit sehr viel Knie.
Meine Mutter sagt, ich war vorher aus lauter Nervosität drei Stunden lang im Kreis gelaufen. 


Und wie war's bei euch so? 


SaveSaveSaveSaveSaveSave

Montag, 26. September 2016

Teenietage - von der Unfähigkeit, mich literarisch weiterzubilden.

Neulich auf dieser Networking Veranstaltung:

„Ich wusste gar nicht, dass du einen Literaturblog hast!“
„Mhmm, ja, ich blogge auch kaum noch.“
„Aber dann kennst du dich ja mit Literatur sehr gut aus! Was liest du denn so? Ich lese ja gerade dieses neue Werk von diesem Literaturpreisträger, hier, Dings.“
„Äh... ich lese gerade „The Boyfriend List.“
„...“
„Ja... ich weiß. Ist eigentlich für Teenies, aber das ist echt ein cooles Buch!“
„Achso. Ja, hm, Ich geh nochmal schnell zum Buffet, die bauen ja sonst gleich ab!“

Diesen Winter werde ich meinen 29. Geburtstag feiern. Die Zeit, in der ich gefahrlos Jugendbücher verschlingen darf ohne als literarischer Loser dazustehen, neigt sich leider dem Ende entgegen... ehrlicherweise hat sie das Ende wahrscheinlich schon einige Jahre hinter sich gelassen. Nun stellt sich allerdings die Frage, was nach dem Ende kommt. Was kann ich mit, oh Himmel, FAST DREIßIG gefahrlos lesen, um mich in der Unterhaltung mit anderen Erwachsenen immer noch als Literatur Liebhaber bezeichnen zu dürfen? Ich kann ja schlecht jedes Mal den ollen Tolstoi in den Ring schmeißen, noch dazu wo ich Krieg und Frieden nicht mal zu Ende gelesen habe!

Ein wenig stolz darf ich wohl vermelden, dass ich zumindest mittlerweile eine gesunde Skepsis vorweisen kann, sobald ich irgendwo ein Teenager-Liebes-Dreieck wittere. Und Titelheldinnen sofort entlarven kann, sobald sie anfangen über ihre eigenen Füße zu fallen und davon reden, wie unscheinbar sie sind. Und mit den Buch-Empfehlungen meiner 18-jährigen Schwägerin nur noch ca. in der Hälfte aller Fälle übereinstimme, während das vor einem Jahr noch ganz anders aussah. (Denn mal ehrlich, Throne of Glas ist so offensichtlich voller platter Stereotypen und Plotholes, dass es selbst mir auffällt. Was nicht bedeutet, dass ich es nicht trotzdem amüsiert zu Ende gelesen habe. Ich hab mir nur die Fortsetzung nicht gekauft.) Aber das kann ich ja keinem erzählen, der sich mit mir über die „grundlegende Skepsis gegenüber der Repräsentation“ in den Werken von Alice Munro unterhalten will. Von der ich nichts gelesen habe. Obwohl sie 2013 einen Literaturnobelpreis bekommen hat.

Wenn ich vor der Entscheidung stehe, mich literarisch weiterzubilden oder das neueste Teeniebuch meiner langen Reihe von Lieblingsteeniebuchautoren auf meinen Kindle zu laden und den Rest des Nachmittages meine Couch nicht mehr zu verlassen – gewinnt immer die zweite Option.

Tja. Und was tue ich jetzt mit diesem Eingeständnis meiner literarischen Bildungsangst?

DEN ZWEITEN BAND RUBY OLIVER AUF MEINEN KINDLE LADEN UND DRAUF WARTEN, DASS ICH VON ALLEIN ERWACHSEN WERDE!

Muss ich jetzt halt auf Networking Veranstaltungen über Kinofilme reden. Wobei... vielleicht lieber doch nicht. (Der letzte X-Men war übrigens viel besser als der letzte!)


Und ihr? Geht jetzt bitte die gesammelten Werke von Stefan Zweig auf euren Kindle laden. Die gibt’s bei Amazon für 99 Cent! Was ein geniales Schnäppchen wäre, wenn ich die Datei in den letzten Monaten mal geöffnet hätte.

Alternativ könnt ihr es aber auch so halten wie ich und alle vier der folgenden Werke von E. Lockhart innerhalb von drei Tagen verschlingen.


We were Liars



„Welcome, once again, to the beautiful Sinclair family. We believe in Outdoor exercise. We believe time heals. We believe, although we will not say so explicitly, in prescription drugs and the cocktail hour.“


Eine mir vorher noch unbekannte Autorin, gekauft auf Basis eines Amazon Deals. Scheinbar gab es damals einen großen Hype um dieses Buch, in dessen Folge dann einige Leser enttäuscht waren. Ich hab den Hype natürlich wieder verpasst und war entzückt. Vom wundervollen, wundervollen Schreibstil der Autorin, ihrer Art mit Poesie und Märchen zu spielen und vom Unterhaltungswert des ganzen Buches, denn ich habe mich schon länger nicht mehr so schnell so tief festgelesen. Von der Geschichte über eine reiche Familie voller Abgründe über die niemand spricht, deren Teeniekinder die Schnauze voll haben von den Lügen ihrer Altvorderen.  Nach ca. einem Drittel der Story habe ich das Ende geahnt, was mich aber nicht gestört hat.


„My head and shoulders melted first, followed by my hips and knees. Before long I was a puddle, soaking into the pretty cotton prints. I drenched the quilt she never finished, rusted the metal parts of her sewing machine. I was pure liquid loss, then, for an hour or two. My grandmother, my grandmother. Gone forever, though I could still smell her Chanel perfume on the fabrics.“


How to be bad




"I'm not mad at you, Vicks. I'm just... mad at myself."
"For what?"
Mel sighs. "For thinking you were my friend. For trusting you."
"Don't give me that," I snap. "That's the most backhanded bullshit insult I ever heard."

Die Stimmung im Vergleich zum ersten Buch könnte nicht unterschiedlicher sein. Drei verschiedene Autorinnen, die drei verschiedenen Charakteren ihre Stimmen verleihen. Drei Mädels, die in einem Schnellimbiss arbeiten, ein Roadtrip, ein Alligator, eine Ente. Die religiöse Jesse flieht vor der Krebs-Diagnose ihrer Mutter, die coole Vicks vor den Problemen mit ihrem Freund und die unsichere Mel vor sich selbst. Das Buch macht einen Riesenspass, mit humorsprühenden Dialogen und absurden Situationen. Die Autorinnen schaffen es, eine liebevolle, authentische Freundschaft darzustellen und ganz nebenbei ein paar Vorurteilen über Reichtum, Armut und Religiosität die Stirn zu bieten. Mein Lieblingsmoment ist, als Jesse, die in einem Trailer lebt, das erste mal in die Luxus-Suite eines Hotels eincheckt. Ich bin förmlich mit auf den Betten gehopst!
"Well. We are alive, we are here. We are badass. We have a duckling."

The disreputable history of Frankie Landau-Banks


Ausnahmsweise ist das deutsche Cover hier wirklich mal ein Highlight!

"Frankie was curvy, lithe, and possessed of enough oomph to stop teenage boys in the street when they passed her. But if we are to accurately chronicle Frankie's transformation and so-called misbehaviour in these pages, it is important to note that her physical maturation was not, at first, accompanied by similar mental developments."

Wieder ein ganz anderes Buch als die beiden oben, ein ganz anderer Stil, ein anderer Ton. E. Lockhart hat mit diesem Roman diverse Preise gewonnen und das zu Recht, denn der omnipräsente Erzähler verleiht dem Ganzen eine besondere Note. Man identifiziert sich nicht direkt mit der Titelheldin Frankie, sondern schaut ihr rückblickend bei ihren Abenteuern zu, wobei es den Eindruck macht, als würde der ironisch angehauchte Erzähler stellenweise eine Augenbraue hochziehen.  Frankie ist die pfiffige Tochter einer reichen Familie und Teil eines elitären Schulsystems, welches die zukünftige Führungsriege ausbildet. Während Frankie scheinbar alle Türen offen stehen, muss sie erkennen, dass sie immer noch ein Problem hat: als Mädchen bleibt ihr der Zutritt zum wichtigsten aller Clubs verwehrt; den Basset Hounds. Doch  das lässt sie sich nicht bieten. 
Dieses Buch greift subtil und clever eine ganze Menge große Themen auf (Feminismus, Macht, Beziehungen, Unterdrückung und die seltsame Definition, die wir oft von Liebe haben...). Während ich die Sprache teilweise etwas bemüht fand, hat mir die aussergewöhnliche Sichtweise tatsächlich den ein oder anderen Aha-Moment beschert.
"He wasn't curious about her family. He expected her to become part of his life, but he didn't become part of hers. Lots of girls don't notice when they are in this situation. They are so focused on their boyfriends that they don't remember they had a life at all before their romances."

Die Ruby Oliver Serie



"Don't jump all over me ’cause Jackson broke up with you,” she said. “It’s not my fault.” 
“It’s your fault I have to think about the two of them naked,” I yelled. “Just leave me off your penis information list from now on.” 
“Fine,” she snapped. “You can be sure I will.” She turned and went into the gym. I felt like an asshole. But hey: My heart rate was normal, and my lungs felt free and clear. I took a deep breath.

Von den vier Büchern ist das Ruby Oliver Quartett auf die jüngsten Leser ausgerichtet. War klar, dass es mir am besten gefallen hat, ne? Vielleicht weil Ruby es dem Leser so irre schmackhaft macht, ENDLICH KEIN TEENIE MEHR ZU SEIN! Man, war das anstrengend mit 15. Die Katastrophen in die Ruby stolpert - ihr Freund verlässt sie für ihre beste Freundin, die daraufhin einen Zickenkrieg beginnt, in dessen Folge Ruby im Wesentlichen als sozial ausgestossener Therapiefall endet - sind allerdings dermaßen brüllend komisch verpackt, dass man sie nur lieben kann...
es sei denn, man hasst sie. (Die Goodreads Reviews sprechen Bände). 
"There was kissing in those movie stills. A lot of kissing. But none of it looked like anything real. And yes, “real” was what I had just said I wanted. But now, fake and glam was looking a lot better than anything that was ever going to actually happen to me. Fuck it. "



Samstag, 2. Juli 2016

Top und Flop aktuell (Lieblingsautoren-Edition)

Schon länger habe ich sehnsüchtig darauf gewartet, die aktuellen Romane von zwei meiner Lieblingsautorinnen zu lesen. Da die Werke von Nina Blazon und Ursula Poznanski fast alle zu meinen Favoriten gehören, wollte ich die neuen Bücher nicht so zwischen Tür und Angel lesen, sondern das mindestens mit einem freien Nachmittag beim Starbucks zelebrieren. Das lange Warten hat sich gelohnt - leider nur in einem Fall.

Top


Der Winter der schwarzen Rosen von Nina Blazon




"'Ich bin der Herzschlag des Herbstes', rezitierte ich die Eröffnungsformel. 'Ich bin das Verblühen, das Vergehen vor dem Werden. Ich bin der letzte Tanz des Sommers und der letzte Kuss auf goldenes Haar, bevor es winterweiß wird. Ich bin der letzte Gesang der Goldammer und der letzte Flügelschlag des Schmetterlings. Ich bin der Funke, der in euer Herz sinkt, um im Frühjahr neu geboren zu werden, und ich bin das letzte Lied, das bis zum Fühlingstag in uns nachklingen wird. Auf das letzte Licht!'"

Zur Story:

Liljan und Tajann sind so unterschiedlich, wie Schwestern nur sein können. Doch Tajann wird als Zweitgeborene für immer in der Angst ihrer Schwester gefangen sein, solange ihr Vater seine Erstgeborene nicht frei spricht. Um ihren eigenen Weg gehen und ihrer Liebe folgen zu können, beginnt Tajann ein gefährliches Spiel zu spielen. Sie ahnt nicht, dass sie damit nicht nur ihr eigenes Leben aufs Spiel setzt.

Warum Top?

Den Zauber, der von Nina Blazons (Fantasy-) Büchern ausgeht, habe ich hier schon einmal versucht, zu beschreiben. Faunblut, Ascheherz und ganz besonders Der dunkle Kuss der Sterne sind meine drei Lieblingsbücher von ihr, deswegen hat es mich sehr gefreut, dass Der Winter der schwarzen Rosen alle drei Welten miteinander verknüpft. Erinnerungen aus älteren Geschichten werden wieder lebendig und Liljan und Tajann sind mindestens genauso unvergessliche Charaktere wie Canda, Jade und Faun es waren. Wie immer bei Nina Blazon sind die Beziehungen der Figuren untereinander keineswegs unkompliziert. Sowohl die Liebesgeschichten als auch die (Hass-?)Liebe der Schwestern zueinander sind faszinierend tiefgründig und dadurch umso unvergesslicher. Die Figuren sind nicht schwarz oder weiss, sie sind menschlich, sie handeln auch mal schwach. Egoistisch. Und setzen damit die Liebe zu denen aufs Spiel, die ihnen am Meisten bedeuten.

"'So ist es, eine Familie zu verlieren?' dachte ich? 'Einfach so? (...) Noch fehlte mir Tajann nicht, noch haftete ihr Haarduft an meiner Wange. Abschiede schleichen sich langsam heran, das sollte ich bald erfahren: das allmähliche Ausbluten von Vertrautheit und das schmerzliche Aufblühen von Erinnerungen, die stets viel strahlender oder dunkler sind als die Wirklichkeit.'"
Und Nina Blazon weiss genau, wie die Menschen sind. Sie liebt sie dafür. Und das spürt man auf jeder Seite dieses Romans.
"'Was ist das für eine Leidenschaft, dass ihr Menschen immer Grenzen überschreiten wollt, sobald ihr welche findet?' 'Das ... macht uns Menschen wohl aus", erwiderte ich leise. "Wenn wir tanzen, dann tanzen wir, bis unser Herz überquillt. Wenn wir lieben, dann so sehr, dass die Welt zu leuchten beginnt - und mit dem Hass ist es ebenso. Wir kosten alles bis zu Neige aus und wir geben uns mit Grenzen nicht zufrieden.'"
Das Buch ist wieder so wunderschön geschrieben, ich hätte noch seitenweise Zitate einbauen können. Allerdings muss ich sagen, dass ich Anfangs Schwierigkeiten hatte, in die Geschichte hineinzufinden und mir vor allem Liljan nicht so einfach zugänglich war. Nach etwa einem Fünftel nimmt das Ganze aber an Fahrt auf und die Schwestern, deren Schicksale immer im Wechsel aus ihrer eigenen Sicht beschrieben werden, sind mir ans Herz gewachsen. Auch ein paar andere Charaktere stechen heraus und das ganze endet in einem solch furiosen Finale, dass ich die letzte Seite kaum erwarten konnte -  um das Ganze dann noch mal von vorne zu lesen, wenn ich mal wieder einen Nachmittag beim Starbucks einlegen kann...

"Dein Mädchen hatte keine Ahnung wen sie gehen ließ. Auch mit dir kann man Reiche stürzen und neue erbauen.' Ich meine das aus ganzem Herzen. Er kontert mit einem rauen Lachen. 'Noch spielen wir auf Risiko, Jägermädchen', sagt er spöttisch. 'Also heb dir deine sülzigen Reden für später auf.' Damit spuckt er aus und geht.

Flop


Layers von Ursula Poznanski




"Als Erstes schluckte Dorian die Tablette, dann zog er sich langsam aus. Alle seine Instinkte schlugen Alarm. Das alles hier war viel zu gut, um harmlos zu sein. Keine Sekunde lang glaubte er, dass irgendjemand aus reiner Menschenliebe junge Leute von der Straße holte, um sie in seiner Villa auf Fünf-Sterne-Niveau einzuquartieren. Schon gar nicht, wenn man annahm, dass sie gerade jemanden getötet hatten."
 

Zur Story:

Dorian ist von Zuhause abgehauen und schlägt sich nun auf der Straße durch - bis er eines Morgens neben einem toten Obdachlosen aufwacht. Ein Fremder, der beobachtet haben will, wie Dorian den Mord begangen hat, bringt den Jungen in Sicherheit. Und nicht nur das - er bekommt in der Villa Essen, Kleidung, sogar Unterricht - und das alles nur dafür, dass er "Werbegeschenke" überbringt. Doch warum ist es ihm verboten zu erfahren, was die Pakete enthalten?

Warum Flop?

Fairerweise muss ich sagen, dass ein Flop von Ursula Poznanski natürlich immer noch Meilenweit von dem entfernt ist, was ich hier normalerweise als "Flop" präsentiere. Nichtsdestotrotz war ich schwer enttäuscht von dem Buch, das nicht nur üble Logikfehler aufweist, sondern mit Dorian auch eine Hauptfigur enthält, die leider einfach - man kann es nicht anders sagen - ein bisschen doof ist. Schade.

Dabei fängt alles so gut an. Ca. das erste Drittel habe ich verschlungen und hatte die fünf Sterne quasi im Geiste schon vergeben, leider geht es dann so ungefähr ab Seite 150 fürchterlich den Bach runter. Ich kann mir nicht erklären, was da passiert ist. Dem Verlag oder irgendeinem der Testleser hätte auffallen müssen, dass dieses Buch mit mindestens 50 Seiten weniger weitaus besser bedient gewesen wäre. Denn es gibt zig Stellen an denen Dorian nichts anderes tut, als im Kreis herumzulaufen und sich immer wieder die gleichen Fragen zu stellen - ohne allerdings eine Antwort zu finden oder AUS SEINEN FEHLERN ZU LERNEN. Man möchte den Jungen irgendwann schütteln für seine Deppertheit. Noch ärgerlicher ist es, dass in diesen Fragen auch immer seine "große Liebe" vorkommt - die er gefühlt seit fünf Minuten kennt, wegen der er sich aber regelmäßig in Lebensgefahr begibt. Macht weder emotional noch spannungstechnisch Sinn und das Ganze hat mich einfach geärgert.

Die Idee an sich ist, typisch Poznanski, eine pfiffige Weiterspinnung topaktueller Trends. In der Geschichte steckt wirklich ein Riiiiesen-Potential. Wäre es genutzt worden, hätte das vielleicht über die Eindimensionalität der Charaktere und die völlig blödsinnige "Auflösung" am Ende hinwegtrösten können. Zu Frau Poznanskis Ehrenrettung sei gesagt, dass der Roman eine Menge spannende Fragen aufwirft - Heiligt der Zweck die Mittel? Sollten die Mächtigen über ein Informationsmonopol  verfügen? Rechtfertigt das Schützen vieler Menschenleben die Gefährdung einzelner? Was ist Moral? - deren Behandlung der Geschichte viele Dimensionen hinzufügen hätte können - aber dann bräuchte man wohl noch einmal so viele Seiten. Vielleicht wollte sie da einfach an zu vielen Fronten gleichzeitig kämpfen. 

"Was er brauchte, war keine neue Stadt, sondern ein neues Ziel. Eine Perspektive. Er war gerade mal siebzehn und auf dem besten Weg, eine Karriere als Obdachloser einzuschlagen. Dabei hatte er vorgehabt, Anwalt zu werden. Seine Noten waren gut gewesen, verdammt noch mal, und unter normalen Umständen hätte er das Gymnasium niemals abgebrochen."

-äh, doch. Sorry Dorian. Mit dem Mangel an logischem Denkvermögen hätteste im Abi echt Probleme bekommen.



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