Mein Lieblingszitat:
"And so you were waiting for your people when you sat on that stile?"
"For whom, sir?"
"For the men in green: it was a proper moonlight evening for them. Did I break through one of your rings, that you spread that damned ice on the causeway?"I shook my head. "The men in green all forsook England a hundred years ago," said I, speaking as seriously as he had done. (S. 124)
Ich fange an zu lesen und habe keinen blassen Schimmer was eigentlich passieren wird, da ich wie immer den Klappentext ignoriert habe. Vor allem klassische Literatur hat die nervige Angewohnheit, mir mit wenigen Sätzen auf dem Deckel das ganze Buch zu verraten. Ich weiß ja, dass ich hier Weltliteratur lese und es ist mir schon ein bisschen peinlich, dass ich von Jane Eyre nur den Namen kenne. Die Einleitung verrät mir zumindest schon mal etwas über Charlotte Brontë. Als eines von sechs Kindern wächst sie in einem strengen Elternhaus mit wenig Liebe auf. Als sie acht Jahre alt ist, wird sie zusammen mit drei ihrer Schwestern in ein Internat gesteckt, in dem die Konditionen so schlecht sind, dass zwei Ihrer Schwestern dort an Tuberkolose sterben. Charlotte und ihre Schwester Emily überleben aber und schaffen es knapp 150 Jahre später mit ihren Büchern immer noch zu den beliebtesten aller Zeiten zu gehören. Ich bin gespannt warum.
130 Seiten später bin ich vollkommen in das England des 19. Jahrhunderts eingetaucht. Meine Mittagspause auf der Arbeit habe ich zum ersten mal ganz unsozial mit einem Buch verbracht statt mit meinen Kollegen. Schließlich hat Jane gerade Mr. Rochester kennengelernt und der Name sagt selbst mir als vollkommen unerfahrener Brontë-Ignorantin.etwas. Zuallererst fällt mir auf, dass das Buch, obwohl 160 Jahre alt und auf Englisch, leicht verständlich und gut zu lesen ist. Nur mit den teilweise eingestreuten französischen Sätzen hapert es bei mir etwas. Ich wundere mich zuerst, dass es dazu nie eine Übersetzung oder Erklärung gibt, bis ich mich dunkel erinnere, das Französisch damals ja bei der Bildungsschicht noch "tres en vogue" war. Vorsichtshalber habe ich das aber nochmal gewikit. "Im 18. Jahrhundert übernahm das Französische als Sprache des Adels die Domäne der internationalen Beziehungen und der Diplomatie (zuvor: Latein). Durch die Französische Revolution und das Scheitern der napoleonischen Großmachtspolitik, die den Nationalismus und die Freiheitsbewegungen der unterworfenen Völker hervorbrachte, ging die Verwendung des Französischen stark zurück und wurde von Englisch verdrängt." Schau an.
Meine zweite Erkenntnis ist, dass es mir erstaunlich leicht fällt, mich mit der im Jahre 1847 lebenden Heldin zu identifizieren. Ich schätze Mädchen sind nun einmal Mädchen, egal in welcher Zeit. Jane Eyre, ein Waisenkind das in England bei einer reichen Pflegefamilie aufwächst, wird von ihrer Pflegemutter ignoriert und von deren Kindern misshandelt. Mit zehn Jahren wird sie von Ihnen in ein Waisenhaus gesteckt, in dessen Schule sie später als Lehrerin arbeitet. Aus der Einleitung weiß ich, dass das Buch teilweise autobiographisch ist und die Schule auf ihrem realen Vorbild beruht. Deshalb ist es noch viel erschreckender, was Jane Eyre im Rückblick in der Ich-Form beschreibt. Der Leiter der Waisenschule, ein total abgedrehter Kirchenprediger, der mit seiner "Wenn der Körper fastet, wird der Geist gelabt"-Mentalität die Kinder fast verhungern lässt, schneidet den Mädchen auch schon mal die Zöpfe ab, wenn sich die Haare zu sehr locken. "My mission is to mortify in these girls the lust of the flesh". Es ist eine Verwirrung, der schon tausende Männer vor und nach seiner Zeit in allen Teilen der Welt zum Opfer gefallen sind: Ihre eigenen dreckigen Gedanken auf Frauen zu projizieren und diese, als "logische Schlussfolgerung", zu unterdrücken.
Jane lässt sich aber nicht unterdrücken und als sie mit 18 Jahren die Schule verlässt und bei Mr. Rochester (Oha! Die Handlung beginnt sich zu verdichten...) als Gouvernante für dessen Schützling anfängt, ist sie ein fantasievoller Querkopf mit einer großen Klappe. Ihre offene, ungeschminkte Art würde auch heute noch bestimmte Leute verschrecken und war mit Sicherheit damals vollkommen und komplett ungeeignet für eine wohlerzogene, junge Dame im 19. Jahrhundert. Ich könnte mir vorstellen dass es auch die Charaktereigenschaften ihrer Heldin sind, die Charlotte Brontë damals einige Kritiker eingebracht hat. Diese Herren adressiert sie denn auch im Vorwort. "Konvention ist nicht Moral. Selbstgerechtigkeit ist nicht Religion. (...) Männer verwechseln diese Dinge zu häufig. Sie sollten nicht verwechselt werden." Jane Eyre ist keine graue Maus, auch wenn ihr Aussehen so beschrieben wird. Sie liebt Bücher und Geschichten und aus vollkommen ordinären Situationen werden in ihren Gedanken Begegnungen mit Fabeltieren und Geistern.
Als sie schließlich auf Mr. Rochester trifft, ist mein oben genanntes Lieblingszitat eine der ersten Unterhaltungen die sie führen. Abgesehen davon, dass er sich bis jetzt benommen hat wie ein arrogantes Arschloch, scheint der Gutsherr auf einem guten Weg. Wenn er sich mal dazu herablässt eine vernünftige Unterhaltung zu führen, taucht er mühelos in Janes Fantasiewelt ein. Der Dialog der beiden geht sofort und unangekündigt in eine Ebene, die niemand der anderen Bewohner mehr versteht. Sie reden vollkommen ernst den größten Quatsch miteinander, ohne es jemals aufzulösen. Außerdem scheint er einen Hang zum Romantiker zu haben, denn er beschreibt die von Jane gemalten Bilder mit einer derartigen Poesie, dass meine Englischkenntnisse schon leicht mit den Ohren schlackern.
Das ist übrigens auch einer meiner Wehmutspunkte: Die Figuren reden manchmal nicht so ganz ihrem Charakter entsprechend. Das Mr. Rochester ein tiefgreifender Nostalgiker zu sein scheint und manche Dinge eher so beschreibt wie eine Frau das tun würde, ist nun mal dem Plot geschuldet. (Zum jetzigen Zeitpunkt gehe ich stark davon aus, dass es auf eine Liebesgeschichte hinauslaufen wird. Falls am Ende Jane total abdreht und das ganze Gut im Schlaf umbringt, mag sich meine Sicht auf die Charaktere noch ein wenig ändern.) Aber das Janes 14-jährige Freundin Helen die Einsicht und Charakterstärke einer Mutter Theresa und das Ausdrucksvermögen einer Pastorin an den Tag legt, scheint mir doch etwas unwahrscheinlich. Bis jetzt gab es auch noch keine Szene bei der ich wirklich vollkommen ergriffen und mitgerissen war. Wenn man in Betracht zieht, dass ich mich normalerweise schon bei einer rührenden Bierreklame in Tränen auflöse, heißt das einiges. Ich bin aber sicher, dass dieser Verzicht auf tiefe Gefühle nicht aus einer literarischen Unfähigkeit entspringt, sondern gewollt ist und sich das später noch ändert. Evtl. liegt es auch an der Zeit, zu der das Buch geschrieben wurde. Ich bin nicht so oft im 19 Jahrhundert unterwegs und mir deswegen nicht ganz sicher. Wie auch immer, ich werde es wohl im zweiten Teil erfahren. Bis dahin muss meine Zustimmung oder Absage zur 100Bücher-Liste wohl noch warten.
Hier geht es zum zweiten Teil der Rezension.
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schön das ich mal was über ein paar klassiker erfahre, vor allem deine lebendige schreibweise macht jeden eintrag lesenswert. dem buch trau ich trotzdem nicht ganz, ich als buch banausue kenn aus dem 19. jahrhundert nur effi briest, was aber ja auch schon ziemlich am ende war, aber das war nicht soooo toll :D
AntwortenLöschenbin trotzdem gespannt wies aussgeht, und mach ja weiter mit der liste!!!
...Breite Schultern und auch noch interessiert an Klassikern! Was für ein Mann! :D
AntwortenLöschenDanke für die Blumen Simi, bei solchen Kommentaren mach ich natürlich weiter! Effi Briest hatten wir nicht aber Auszüge davon und die fand ich auch nicht so toll. Aber Irrungen und Wirrungen war super.
Mila du bist wunderbar :) Auch wenn ich all diese Bücher nie lesen werde, kann ich jetzt dank dir zumindest beim Small Talk ein wenig mithalten und muss mich nicht gleich als faulenzender Antibücherwurm (an einem kreativen Antonym muss ich glaube ich noch arbeiten...) zu erkennen geben! Mach weiter, ich will mehr!
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Liebste Sandy. Ich danke dir für diesen wunderbaren Kommentar und freue mich sehr über das Interesse, auch wenn ich das Wort "Antonym" googeln musste. :p Rechnet man Fachliteratur mit, hast du übrigens in der letzten Zeit wahrscheinlich wesentlich mehr gelesen als ich. Ich helf dir aber gerne weiter beeim Smalltalk!
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Übrigens hab ich keine Ahnung auf was für eine Zeitzone dieser Blog eingestellt ist. Es ist nicht 14:30 sondern nachts um halb 12. Im Gegensatz zu den Posts kann man das aber bei Kommentaren nirgendwo einstellen.
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