Sonntag, 26. Juni 2011

1.) (Teil 2) Jane Eyre von Charlotte Brontë, 1847

Meine liebe Jane, du hast mich jetzt echt fertig gemacht. Ich hab die letzten Stunden vor dem Ende damit verbracht, um deine Zukunft zu bangen. Hab immer wieder innerlich geschrien: "Jane, mach keinen Scheiß jetzt!". Und hat es was gebracht? 

Kann ich natürlich nicht sagen jetzt. Ich kann ja schließlich nicht die Geschichte verraten! 

Jane Eyre ist eine Frau des 19. Jahrhunderts. Googelnd komme ich auf Begriffe wie "Emanzipation", "Stolz", "Stärke", die im Zusammenhang mit ihrem Charakter stehen. Aus der Perspektive unserer Zeit, in der ich nun vollkommen selbstverständlich mein Studium und meinen späteren Beruf nach meinen Interessen und Fähigkeiten wähle, ist es kaum zu glauben wie wenig Zeit vergangen ist, seit Frauen hiezu nicht einmal ansatzweise in der Lage waren. (Männer übrigens auch nicht, aber um die geht´s grad nicht.) Zwar wurde zwischen 1870 und 1894 in Europa das Frauenstudium eingeführt, Studentinnen blieben jedoch weiterhin eine Ausnahme. Und da unsere Jane ein paar Jährchen vorher gelebt hat, war ein Unistudium für sie nicht mal eine in Erwägung zu ziehende Möglichkeit, obwohl sie extreem intelligent ist. Sie geht zur Schule, wird Lehrerin und dann Gouvernante. Damit hat sie eine der einzigen Möglichkeiten einer englischen Frau benutzt, wenigstens etwas eigenes Geld zu verdienen. So weit so gut, wenn sie jetzt still geheiratet und 3 Kinder bekommen hätte, wäre das Buch nicht so in die englische Gesellschaft geknallt, wie es das damals getan hat.

Wir sprechen hier von 1847, in England schleicht sich so langsam die Industrialisierung an. Das Leben ist hart, die Menschen sind gläubig, die Ehe ist zum Kinderkriegen da. In den gehobenen Kreisen wird geheiratet, um den Status zu sichern. Die Mädchen reicher Eltern gehen zwar zur Schule, was sie dort lernen, gibt ihnen aber in erster Linie das Handwerkszeug um eine gute Hausfrau zu werden. Das Lebensziel ist es, eine gute Partie zu sichern. Liebe kommt dann später oder auch nicht. Eine gute Frau sollte zufrieden sein mit dem,was sie hat und sich nicht beklagen. Außerdem findet sie ihre Erfüllung ja sowieso im Kinderkriegen. Die idealen Eigenschaften einer Frau sind Aufopferungsbereitschaft, Reinheit und Stille. Leidenschaft gilt bei Frauen als unnatürlich, eher krankhaft. Jane hat´s schwer.

Unsere Heldin ist ein leidenschaftlicher Mensch, sie lebt nach ihren eigenen Regeln und ist für ihre Zeit extrem emanzipiert. Trotzdem geht sie mir manchmal tierisch auf den Keks. In eine emanzipierte Zeit geboren und mit einem Dickkopf ausgestattet, geht es mir einfach nicht in den selben, wie sich so ein pfiffiges Mädel ständig von Männern herumkommandieren lässt. Sie tut das vollkommen selbstverständlich und ordnet sich auch gerne unter. Nur einmal muckt sie wirklich auf: Da geht es nämlich gegen ihre Wertvorstellungen von einem christlichen Leben. Sie haut ab. Und während Jane sich und ihrem Liebsten jede Hoffnung auf eine glückliche Zukunft miteinander verbaut und damit in Kauf nimmt, für den Rest ihres Lebens kreuzunglücklich aber dafür nach ihren Idealen zu leben, kann ich in meinem behaglichen 2011 nur seufzend den Kopf schütteln. Man kanns auch echt übertreiben mit der Prinzipientreue.

Aber gut, sie hat das sehr straight durchgezogen, muss man ihr lassen. Und nachdem sie fast verhungert wäre, weil sie nämlich sowohl zu stolz ist, um Geschenke anzunehmen als auch um zu betteln, schafft sie es, von allerlei Zufällen und überraschenden Wendungen getragen tatsächlich, sich ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Meinen Respekt Frau Eyre. Was hätte sie aber ohne diese - meiner Meinung nach etwas arg konstruierten - Zufälle getan? Naja lassen wir das, es ist ja jedem klar, dass er hier eine erfundene Geschichte liest und keine Biografie. Grundsätzlich bin ich aber kein großer Fan von Zufällen in Büchern, vor allem nicht von solchen, ohne die die Geschichte sehr anders geändet hätte. Jane wäre dann nämlich sang und klanglos im Wald verhungert.

Grundsätzlich stimme finde ich die Geschichte schön und habe sie gerne gelesen. In meine persönlichen Top 100 wird sie es aber nicht schaffen. Trotz romantischer Dialoge und aufopferungsvoller Liebe zieht die Geschichte mich nicht so sehr in ihren Bann, dass ich meine Umwelt vergesse (Normalerweise passiert mir das permanent). Charlotte Brontë hat die Geschichte fairerweise aber auch nicht geschrieben, um verwöhnten deutschen Mädels im 21. Jahrhundert einen netten Leseabend zu bereiten. Jane Eyre ist ein Instrument zur Gesellschaftskritik. Und wie nötig diese Gesellschaft Kritik hatte, zeigt schon der Umstand, dass das Buch in der Erstversion unter dem Pseudonym "Currer Bell" erscheint, da es von einer weiblichen Autorin nicht ernst genommen worden wäre. So aber wurde es zu einem Erfolg. Und beschert uns noch heute eine leidenschaftliche Heldin, eine dramatische Liebe und einen spannenden Einblick in eine Zeit, in der selbst ein gebildetes, mitfühlendes Mädchen wie Jane Eyre es vollkommen selbstverständlich findet, sich ein Land unter den Nagel zu reißen, um es zu kolonialisieren. Denn auch wenn die Emanzipation der Frauen so langsam in England anklopfte; die Emanzipation anderer Rassen war auch für Charlotte Brontë noch sehr weit weg.  

1 Kommentar:

  1. Das "ich habe meine Umwelt nie vergessen beim Lesen" stimmt ja nicht so ganz ;-)

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