"A Suitable Boy", 1993 von Vikram Seth geschrieben und 10 Jahre später auf die BBC-Liste der 100 best loved novels gewählt, heißt auf deutsch "Eine gute Partie." Da ich zu der deutschen Version aber nicht mal einen Wikipedia Eintrag gefunden habe, gehe ich mal stark davon aus, dass die Begeisterung, die die BBC Liste vertritt, nicht nach Deutschland übergeschwappt ist. Da ich mittlerweile meine 100Bücher Liste ja fast auswendig kenne, ist natürlich sofort eine Lampe angegangen als ich das Buch auf englisch hier im Second Hand Shop gefunden habe. Ein Blick auf das englische Wikipedia erklärt den Muskelkater in meinen Armen."One of the longest novels ever published in a single volume in the English language." Ahso. Ich bin jetzt ca auf Seite 400 von 1400 (erinnert mich das nicht an irgendwas?!) und komplett in die indische Kultur abgetaucht. Wo Tolstoi mich leider auf seiner Reise nach Russland im Zug vergessen hat, konnte Vikram Seth mich bis jetzt gut abholen. Da die Geschichte ja ein wenig länger ist (ahäm), habe ich mich entschlossen, die Rezension in Teilen zu veröffentlichen, je nachdem wie ich vorankomme. Life-Rezi quasi.
Zur Story (bis jetzt):
Indien in den 50ern, Postkolonialismus. Ziemlich viele politische Spannungen, sowohl im Bezug auf das "Erbe" der britischen Kolonialbesetzung als auch zwischen Hindus und Moslems. Mittendrin mehrere Familien, mit deren Mitgliedern der Leser nach und nach vertraut gemacht wird. Zum Einen hätten wir da Frau Rupa Mehra, eine rührselige Witwe und Mutter mit mit locker sitzenden Tränen aber stahlhartem Willen. Da von ihren 4 Kindern erst 2 verheiratet sind, ist es ihr größtes Ziel, eine gute Partie "A suitable boy" für ihre jüngere Tochter Lata zu finden. Dieser allerdings, obwohl sie normalerweise den Anweisungen ihrer Mutter folgt, passiert ein Ausrutscher: Sie verliebt sich in einen Moslem. Oje, da haben wir den Salat. Rupa Mehra ist ratlos. Warum kann Lata nicht so folgsam sein wie ihre große Schwester und den Mann heiraten und lieben lernen, den ihre Mutter für sie ausgesucht hat? Zum jetzigen Zeitpunkt hat sie Lata deshalb gerade zu ihrem Bruder nach Kalkutta entführt um mit dessen Hilfe (und der seiner oberflächlichen Frau Meenakshi) doch noch einen standesgemäßen Bewerber herbeizuzaubern.
Auf der anderen Seite verfolgen wir das Leben der Kapoor Familie mit, deren ältester Sohn Maan mit Latas Schwester verheiratet ist. Auch hier gibt es Trouble: Maans kleiner Bruder hat sich in die stadtbekannte "Kurtisane" verknallt. Und das wo Vater Kapoor doch Politiker ist und einen Ruf zu verlieren hat. Außerdem hat er noch mit ganz anderen Dingen zu kämpfen, denn in Indien geht es gerade drunter und drüber: Die Bauern mucken wegen der Land Reformen auf und auch Gandhi konnte gegen die Ungerechtigkeit des Systems nicht viel ausrichten.
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Träumte von einem friedlichen, gerechten Indien: Mahatma Gandhi (1869-1948) Quelle |
"Da sind Küsse im Gedicht. Was mache ich bloß mit den Küssen?"
A suitable boy ist kein Buch, das man in einem Rutsch verschlingt. Auch nicht in mehreren Rutschen. Genau gesagt sollte man das Wort "verschlingen" vielleicht besser nicht mit diesem Werk in Verbindung bringen. Es ist ein Familienepos, welches "im üppigen Stil der russischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts" geschrieben ist. (Danke Wikipedia. Ich ahnte es bereits...) Während es allerdings bei Tolstoi an privaten Szenen mangelt, spart Vikram Seth nicht an Ihnen. Die langen privaten Gespräche die manchmal keinen anderen Sinn haben als dem Leser die Figur näher zu bringen finde ich schon ab und zu etwas langatmig. Auf der anderen Seite gibt es aber auch vollkommen gerechtfertigte Szenen die eigentlich langweilig sein müssten, - Rupa Mehra bastelt mehrere Seiten lang eine Geburtstagskarte für die neue Frau ihres Vaters- die durch ihre Authentizität aber einfach Spaß machen. Opa Mehras neue Frau ist nämlich ein paar Jahrzehnte jünger als ihr Mann und damit auch jünger als Rupa Mehra, die über diesen Umstand nicht so einfach hinwegkommt. Während sie also die Geburtstagskarte bastelt, sieht sich immer wieder mit soliden Problemen konfrontiert. So enthält das Gedicht dass sie gern auf die Karte geschrieben hätte leider "viele Küsse", die Rupa Mehra ihrer Stiefmutter aber nicht zukommen lassen will. Was nun? Und außerdem kann sie nun nicht die goldene Zahl auf die Vorderseite kleben, wie sie das sonst immer macht, denn eine goldene 30 könnte ja als Angriff auf die jüngere gewertet werden. Beim folgen dieser mehr oder weniger nachvollziehbaren Gedankengänge erfährt man immer mehr über das Weltbild der Witwe mit all seinen indischen Traditionen und Vorurteilen. Und das fühlt sich ziemlich authentisch an.
Darf ich vorstellen - meine indische Familie.
Man mag Rupa Mehra ein bisschen nörgelig finden, aber eindeutig hat sie es nicht leicht. Nachdem ihr geliebter Mann früh gestorben ist, musste sie vier Kinder allein groß ziehen. Nun sind zwar zwei davon verheiratet, aber auch als Schwiegermutter wird einem nichts geschenkt. Denn Meenakshi, die Frau ihres ältesten (ziemlich ätzenden, seine Geschwister terrorisierenden) Sohnes ist eine oberflächliche Kuh. Zur Hochzeit hat das Paar von Rupa Mehra das einzig wertvolle bekommen was diese besaß- 2 Goldmedaillien ihres verstorbenen Mannes. Als sie erfährt, dass Meenakshi die Medaillien eingeschmolzen hat, um Ohrringe daraus zu machen, ist sie am Boden zerstört. Und der Leser fühlt mit. Vikram Seth schafft es, dass ich mich beim verfolgen der Figuren ein bisschen fühle wie ein Familienmitglied - amüsiert, zugehörig und ziemlich oft einen Tick genervt von den Macken der anderen. Während allerdings in meiner echten Familie solche Sitautionen zu hübschen Türenknall-Situationen führen würden, ist man in Indien deutlich subtiler. "Lieber Ahrun, ich war so traurig als ich euch schon wieder verlassen musste. Ich freue mich natürlich dass du mich zum Zug gebracht hast, aber dass du nur 10 Minuten bleiben konntest, weil du Meenakshi mit der Party helfen musstest, war etwas unglücklich. Natürlich war die Party sehr wichtig, aber ich dachte man hätte vielleicht auch eine halbe Stunde später mit der Planung anfangen können. Wie auch immer, Meenakshi weiß es am Besten."
Kultururlaub für die Handtasche
Während ich also als stilles Familienmitglied mit am Tisch sitze und Naan esse, oder mit Latas Freundin Veena aufs Dach vor ihrer strengen Schwiegermutter flüchte, oder mit Veenas Mann in die schmutzverseuchten Vorstädte fahre um mir Schuhe herstellen zu lassen, lerne ich unbewusst ziemlich viel über Indien. Latas Schwager, der Lehrer ist, kommt zum Beispiel einmal nach Hause und erzählt, dass er ein paar Jungs suspendieren musste, die an dem Feiertag "Holi" zu freizügig mit der Farbe waren und Mädchen etwas zu lange damit eingerieben hatten. Falls ihr euch auch fragt, was das soll: Holi ist das indische Frühjahrsfest der Farben, bei dem man sich mit Farbpuder und Perfum bewirft. ("Meine" Familie hat dazu sogar ein ganzes Planschbecken voller pinker Farbe im Garten stehen.) Hatte ich noch nie was von gehört, sieht aber ziemlich lustig aus!
Beim Lesen des Buches fühlt man sich also insgesamt ein bisschen, als würde man gerade Kultururlaub in Indien machen. (Oder vielleicht eher einen Austausch.) Es gibt viel zu entdecken, viel zu schmunzeln, aber bis jetzt auch eine ganze Menge Seiten, die sich evtl. einfach mal ohne großen Verlust überblättern lassen. Genau das richtige Buch für einen entspannten Nachmittag im Café, wenn man gerade nicht das Geld oder die Zeit für eine Reise nach Indien hat.
Darf ich vorstellen - meine indische Familie.
Man mag Rupa Mehra ein bisschen nörgelig finden, aber eindeutig hat sie es nicht leicht. Nachdem ihr geliebter Mann früh gestorben ist, musste sie vier Kinder allein groß ziehen. Nun sind zwar zwei davon verheiratet, aber auch als Schwiegermutter wird einem nichts geschenkt. Denn Meenakshi, die Frau ihres ältesten (ziemlich ätzenden, seine Geschwister terrorisierenden) Sohnes ist eine oberflächliche Kuh. Zur Hochzeit hat das Paar von Rupa Mehra das einzig wertvolle bekommen was diese besaß- 2 Goldmedaillien ihres verstorbenen Mannes. Als sie erfährt, dass Meenakshi die Medaillien eingeschmolzen hat, um Ohrringe daraus zu machen, ist sie am Boden zerstört. Und der Leser fühlt mit. Vikram Seth schafft es, dass ich mich beim verfolgen der Figuren ein bisschen fühle wie ein Familienmitglied - amüsiert, zugehörig und ziemlich oft einen Tick genervt von den Macken der anderen. Während allerdings in meiner echten Familie solche Sitautionen zu hübschen Türenknall-Situationen führen würden, ist man in Indien deutlich subtiler. "Lieber Ahrun, ich war so traurig als ich euch schon wieder verlassen musste. Ich freue mich natürlich dass du mich zum Zug gebracht hast, aber dass du nur 10 Minuten bleiben konntest, weil du Meenakshi mit der Party helfen musstest, war etwas unglücklich. Natürlich war die Party sehr wichtig, aber ich dachte man hätte vielleicht auch eine halbe Stunde später mit der Planung anfangen können. Wie auch immer, Meenakshi weiß es am Besten."
Kultururlaub für die Handtasche
Während ich also als stilles Familienmitglied mit am Tisch sitze und Naan esse, oder mit Latas Freundin Veena aufs Dach vor ihrer strengen Schwiegermutter flüchte, oder mit Veenas Mann in die schmutzverseuchten Vorstädte fahre um mir Schuhe herstellen zu lassen, lerne ich unbewusst ziemlich viel über Indien. Latas Schwager, der Lehrer ist, kommt zum Beispiel einmal nach Hause und erzählt, dass er ein paar Jungs suspendieren musste, die an dem Feiertag "Holi" zu freizügig mit der Farbe waren und Mädchen etwas zu lange damit eingerieben hatten. Falls ihr euch auch fragt, was das soll: Holi ist das indische Frühjahrsfest der Farben, bei dem man sich mit Farbpuder und Perfum bewirft. ("Meine" Familie hat dazu sogar ein ganzes Planschbecken voller pinker Farbe im Garten stehen.) Hatte ich noch nie was von gehört, sieht aber ziemlich lustig aus!
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Jetzt weiss ich endlich wozu diese Farben immer gut sind. Hab ich mich schon oft gefragt, die sehen immer so hübshc aus auf den Bildern! (Bildquelle) |
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(Bildquelle) |
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Sieht irgendwie staubig aus. (Bildquelle) |